Umgangsrecht und Umgangs-Verweigerung
"wegen Corona"


Kein Umgang ohne 3G?

Die Pandemie hat auch das Familienrecht weiter im Griff, insofern die Lage dynamisch ist und manche Gerichtsentscheidungen wegen sich ändernder Faktenlage eine ähnliche Halbwertszeit haben wie die Corona-Schutz-Verordnungen. Der Beitrag geht der bislang nicht gerichtlich entschiedenen Frage nach, ob der Umgang mit dem Kind von doppelter Impfung, negativem Test oder Genesen-Status des getrenntlebenden Elternteiles abhängig gemacht werden darf, also der sog. 3G-Regel.

 

Seit dem 23. August 2021 bestimmt die 3G-Regel unser aller Verhalten außerhalb der eigenen vier Wände. Zwangsläufig fragen sich Obhuts-Elternteile, ob sie ihr Kind dem anderen Elternteil zum Umgang übergeben müssen, wenn dieser weder geimpft noch genesen ist und eine aktuelle Testung vor dem Umgang verweigert.

Dabei darf das Recht nicht danach differenzieren, welches Motiv der Obhuts-Elternteil verfolgt. Dass es in streitigen Umgangsfällen vorkommt, dass jeder Vorwand recht ist, um Umgang zu verkomplizieren, und dass damit auch derjenige, der die 3G-Regel einfordert, sich den Vorhalt des Umgangsboykotts wegen Bindungsintoleranz anhören wird, weiß jeder Praktiker.

Aber es mag auch objektiv begründbare gesundheitliche Sorge geben, die den Wunsch bestimmt. Sowohl kann das Kind eine Vordisposition haben, bei der eine Ansteckung überdurchschnittlich gefährlich wäre als auch können solche Risikopersonen im Haushalt des Kindes leben. Die Gefahreneinschätzung der Eltern kann – wie auch sonst ihre Wertvorstellungen und Erziehungsansätze – beim Thema Corona erheblich divergieren.


Formell wäre § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB (Ausgestaltung des Umgangs) der Rechtsrahmen, innerhalb dessen das Familiengericht die Umgänge von dem validen QR-Code in der Corona-App abhängig machen könnte, jedenfalls nicht einseitig der Umgangselternteil.

Wenn aber der Umgangsberechtigte eine solche 3G-Auflage nicht erfüllen will, ist zu prüfen, ob der faktische Ausschluss des Umgangsrechts gerechtfertigt wäre.

In allen Fällen gehört das elterliche Motiv nicht zu dem, was vom Juristen in die Waagschalen zu werfen ist.


Darin liegen nur auf der einen Seite das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, auf der anderen Seite das Kindeswohl (§ 1697a BGB). In Konkretisierung von Art. 6 GG hat der Gesetzgeber einen Ausschluss des Umgangs nur unter sehr engen Voraussetzungen zugelassen Das Umgangsrecht kann eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, wenn es zum Wohl des Kindes erforderlich ist (§ 1684 Abs. 4 S. 1 BGB). Soll eine Einschränkung oder der Ausschluss auf längere Zeit vorgenommen werden, so setzt dies voraus, dass andernfalls das Kindeswohl gefährdet wäre (§ 1684 Abs. 4 S. 2 BGB). Allerdings hat das BVerfG den Unterschied insofern relativiert, als auch ein Eingriff nach S.1 voraussetzt, dass diese Gefahr gegenwärtig und konkret ist und sich bei ihrem weiteren Fortschreiten eine erhebliche Schädigung der weiteren Entwicklung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BVerfG, 28.02.2012 - 1 BvR 3116/11). Nur dann neigt sich die Waage in Richtung Kindeswohlgefährdung.

Immerhin sind wir seit März 2020 daran gewöhnt, dass die Pandemie zur Abwägung verschiedener Grundrechte und auch zu Einschränkungen derselben führt.


Corona-Rechtsprechungsüberblick seit März 2020


Die Familiengerichte hatten seit März 2020 schon einige Variationen von „Umgang und Corona“ zu entscheiden.

 

Die Essenz der h.M. findet sich auch seit April 2020 in den FAQ des Bundesjustizministeriums wieder:

„Die Coronakrise ändert nichts daran, dass minderjährige Kinder auf ihre Eltern angewiesen sind, um eine Persönlichkeit zu entwickeln. Der regelmäßige Umgang eines Kindes mit jedem Elternteil gehört deshalb in der Regel zum Wohl des Kindes. Das Kind hat daher ein Recht auf Umgang mit jedem Elternteil, das der andere Elternteil nicht ablehnen kann. Der Umgang kann in Ausnahmefällen für das Kind schädlich sein; das zu beurteilen ist Sache des Familiengerichts. Das Familiengericht kann den Umgang regeln, einschränken oder ausschließen, wenn dafür die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.“ [1]

In diesem Sinne entschied schon früh in der Zeit der Pandemie das AG Frankfurt a. M. - Beschluss vom 09.04.2020 – 456 F 5092/20: Die Aufrechterhaltung der Bindung zwischen dem umgangsberechtigten Elternteil und seinen Kindern überwiegt die Gefahren der Umgangskontakte auch im Hinblick auf das Coronavirus. Dito beim OLG Braunschweig am 20.05.2020 - 1 UF 51/20: Die Corona-Pandemie führt grundsätzlich nicht dazu, dass dem nicht betreuenden Elternteil der Umgang mit seinem Kind verweigert werden kann. Sollte eine konkrete Gefahrenlage auftreten, könne der Obhuts-Elternteil in einem Einzelfall einen Test verlangen.


Vor dem OLG Brandenburg wollte ein Obhuts-Elternteil Auflagen für den Umgangs-Elternteil erreichen, die Corona-Einschränkungen besser zu beachten. Abgewiesen mit Beschluss vom 03.04.2020 – 13 UFH 2/20: die Bußgeldverordnungen des Landes würden wohl ausreichen, um von Verstößen abzuhalten.

In einem Ordnungsmittelverfahren wegen Umgangsverweigerung stellte das OLG Nürnberg mit Beschluss vom 15.09.2020 - 10 WF 622/20 – fest, dass weder das Husten einer Person im Haushalt des Umgangsberechtigten noch die Ansteckungsgefahren bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausreiche, um eine Umgangsvereinbarung einseitig abzuändern.

 

Beim Amtsgericht Köln ging es im September 2020 um die Frage, ob die Mutter verlangen könne, dass der Umgang mit Mundnasenmaske stattfinde. Das wurde im Beschluss vom 24.09.2020 – 332 F 85/20 – verneint und zugleich wurde auch die Alternative einer Testpflicht abgewogen und verworfen: „Eine Anordnung der Vorlage eines negativen Corona-Tests erfolgt nicht, da ein solcher ein bestehendes Infektionsrisiko nicht minimiert. Dies kann allein der verantwortungsbewusste Umgang des Vaters mit der Pandemie, den das Gericht voraussetzt.“


Diese zwei Argumente aus Köln werfen allerdings – ein Jahr später – zwei Fragen auf:

Ist die fehlende Kausalität zwischen Testung und Infektionsrisiko angesichts der 3G-Regel noch vertretbar?

Und:

Wie geht die Rechtslage mit den Eltern um, die nicht „verantwortungsbewusst“ im Sinne der h.M. mit der Pandemie umgehen?

 

Das AG Marl hat sich im Beschluss vom 29.12.2020 – 36 F 347/20 - dafür entschieden, die Entscheidung über COVID19-Selbsttests als Alltagsangelegenheit anzusehen: "Getrenntlebende Eltern dürfen bei der Abwägung zwischen Infektionsschutz und Kindeswohl unterschiedliche Auffassungen haben und in ihrer Betreuungszeit umsetzen."

Da ging es zwar um den Fall, dass der Umgangsberechtigte die Kinder testen wollte, und der Obhuts-Elternteil dem nicht zugestimmt hatte. Aber der Kern, dass Eltern unterschiedliche Auffassungen haben dürfen, bleibt allgemeingültig.


Das OLG Nürnberg hatte im April 2021 zu entscheiden, ob die umgangsberechtigte Mutter sich impfen lassen müsse. Der Vater, bei dem die Kinder lebten, hatte zunächst nur Tests verlangt, im Laufe des Verfahrens dann auch die Impfung. Mit Beschluss vom 12.04.2021 - 10 UF 72/21 – verneinte das OLG dieses Begehren, weil auch ein Impfwilliger noch keinen Einfluss darauf habe, zu welchem Zeitpunkt er dran sei.

Auch diese Begründung ist durch Zeitablauf nicht mehr stichhaltig, weil inzwischen jedem Interessierten ein Impfangebot gemacht werden konnte.

Eine generelle Testpflicht vor dem Umgang wurde beim OLG Nürnberg ebenfalls verneint – auch dies allerdings auf einer von der Realität überholten Faktenbasis, weil nach den damals geltenden Richtlinien nur bei Vorliegen Covid 19 - typischer Symptome oder Kontakt mit erkrankten Personen überhaupt getestet wurde und das OLG darauf hinwies, dass diese Voraussetzungen nicht vorlägen.

Auch das ist nun nicht mehr Stand der Dinge, denn erst danach schossen die Testzentren wie Pilze aus dem Boden, der sogenannte Bürger-Schnelltest wurde kostenlos und niedrigschwellig, vor allem aber anlasslos angeboten.


3G-Regel seit August 2021


Am 23. August 2021 trat die 3G-Regel in Kraft. Wer am öffentlichen Leben teilnehmen will, muss vielerorts nachweisen, dass er doppelt geimpft ist, eine Infektion überstanden hat oder einen aktuellen negativen Schnelltest vorweisen.

Der Bund wird das Angebot kostenloser Bürgertests am 11. Oktober 2021 beenden, weil bis dahin jeder doppelt geimpft sein kann, der das will. Das kann als Druck auf Ungeimpfte verstanden werden.

Abgesehen von der stetig kleiner werdenden Gruppe der Personen, die keine ärztliche Impfempfehlung haben, trifft dies also vor allem und ganz bewusst die Impfverweigerer / Impfgegner. Derjenige, der sich bewusst nicht am „Teamsport“ der Pandemiebekämpfung beteiligen will, soll dafür auch die Verantwortung im Sinne persönlicher Nachteile tragen.

Zuerst wird es lästig, dann teuer, wenn man Teilhabe am öffentlichen Leben begehrt.

In der Praxis wird es also diese Personengruppe der Impfgegner sein, die vor den Familiengerichten beteiligt ist, wenn es Konflikte um Umgang ohne Nachweis der 3G geht.

 

Das Ganze spitzt sich also auf die Frage zu, ob die Rechtsordnung den sogenannten Corona-Leugnern – rund 15 Prozent der Bevölkerung [2] - Hürden beim Zugang zu ihrem Kind aufstellen darf.

 

Das Argument „selbst schuld“ lässt sich indes nicht auf die Umgangsthematik ausdehnen, denn hier ist das Kind mitbetroffen, mit seinem eigenen Recht auf und Interesse an Kontakt - das mitbestraft würde, wenn der Umgangsberechtigte nicht nur die Impfung verweigert, sondern auch – aus Prinzip – das Testen unsinnig findet oder vielleicht gar schädlich oder auch nur – nach 11. Oktober 2021 – zu teuer.

 

Sorgerechtsentzug bei Medizinkritik

 

Die Familiengerichte haben gelegentlich mit Personengruppen zu tun, die sich medizinkritische Verschwörungen erzählen. Das hat schon verschiedentlich zu sorgerechtlichen Entscheidungen geführt, so beim OLG Nürnberg - Beschluss vom 30.01.2014 - 7 UF 54/14. Der Vater sah dort medizinische Behandlungen zumindest kritisch und setzte verschriebene Medikamente beim Kind ab, da er der Überzeugung war, dass der „Mensch seine Welt selber gestalten und Schöpfer seiner selbst werden könne“. Seine weitere Begründung enthielt Aspekte des Weltbildes der Reichsbürger. Er verlor die Gesundheitsfürsorge.

 

Ebenfalls auf der Ebene des Sorgerechts spielt sich die Frage nach Impfentscheidungen für das Kind ab: Das OLG Frankfurt am Main folgte im Beschluss vom 17.08.2021 - 6 UF 120/21 – der Linie des BGH im Beschluss vom 03.05.2017 - XII ZB 157/16. Danach bekommt derjenige die Alleinentscheidungsbefugnis nach § 1628 S.1 BGB, der seine Entscheidungen nach der h.M. in der Schulmedizin ausrichtet, also beim Impfen nach den Empfehlungen der STIKO. Derjenige, der das Kind trotz Widerspruchs des anderen Elternteiles gegen Corona impfen lassen möchte, bekommt dafür die Alleinentscheidungsbefugnis.

 

Allerdings verliert der andere Elternteil mit dem Recht der Gesundheitsfürsorge nicht automatisch den Kontakt zum Kind, so dass diese Entscheidungen über Kritiker der Schulmedizin für die Umgangsthematik ohne Aussagekraft sind.

 

Elternautonomie auch für Umgangsberechtigte

 

Der fehlende Zusammenhang zwischen Sorgerecht und Umgangsgestaltung wird durch § 1687a BGB untermauert: auch wer kein Sorgerecht hat, auch wer Teilbereiche davon verloren hat, kann den Umgang frei gestalten („Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung“). Das Stichwort dazu ist die Elternautonomie, die immerhin Grundrechtsrang hat (Art. 6 GG). Die gilt für beide, der Umgangs-Elternteil erzieht also nie "im Auftrag".

 

Nun wird eine solche Rechtsfrage natürlich nur dann zu einem Fall vor dem Familiengericht, wenn die Eltern getrennt leben und der Obhuts-Elternteil nicht eine identische Ideologie hat.

 

Einvernehmlich „medizinkritische“ Eltern

 

Sind beide Eltern nämlich gegenüber Politik, Schulmedizin und Wissenschaft kritisch und etwa der Auffassung, dass das Virus nicht existiert, eine Infektion nicht tragisch ist oder dass weder mit Impfung noch mit Tests Ansteckungsketten unterbrochen werden können, werden sie die 3G-Regel untereinander wohl kaum thematisieren. Das Kind wird – wenn sie getrennt leben – seinen Umgang zum anderen Elternteil unbeeinflusst von COVID19 haben.

 

Wenn solche Eltern zusammenleben, werden sie das Kind ebensowenig durch eine eigene Impfung schützen und werden Tests vermeiden.

 

Wenn ein solcher Elternteil in der Weise alleinerziehend ist, dass der andere gestorben oder tatsächlich abwesend ist, kann er die Coronafragen rund um das Kind ganz ohne zweite Meinung nach gusto handhaben.

 

Der Blick auf die in diesen Familien lebenden Kinder ist nun hilfreich für die Definition des Kindeswohl der Kinder, über deren Umgang mit oder ohne 3G gestritten werden wird.

 

Denn wer vertritt, dass Umgang mit einem Elternteil, der weder geimpft noch genesen noch negativ getestet ist, dem Kindeswohl schadet, der muss sich auch nach dem Wohl der Kinder fragen, die mit Corona-Leugner-Eltern leben. Für die Begrifflichkeit des Kindeswohls spielt es nur in wenigen Fällen eine Rolle – Beispiel: Loyalitätskonflikt – ob die Eltern zusammen oder getrennt leben.

 

§-1666-Eingriff wegen Corona-Leugnung


Umkehrschluss: Nur wenn man bei zusammenlebenden Corona-Leugnern mittels § 1666 BGB die Kinder in Obhut nehmen müsste, dürfte man auch gegenüber den Getrenntlebenden mit einer den Umgang beschränkenden Kindeswohlverletzung argumentieren. Denn was nicht gegen § 1666 verstößt, kann auch kein Grund für familiengerichtliche Auflagen nach § 1684 Abs. 3 BGB sein: das muss man als Elternteil beim anderen ertragen. Immerhin hat man sich (meistens) den anderen Erziehungspartner ausgesucht, auch damit das Kind von der Diversität profitiert.

Kinder, deren Eltern nicht nur passiv die Corona-Maßnahmen ablehnen, sondern aktiv Widerstand leisten, demonstrieren, Verschwörungserzählungen verbreiten, durchlässige Masken tragen etc. waren bislang nicht generell im Fokus der Jugendämter.

Es gab allerdings schon Fälle, in denen die Haltung in der Corona-Frage Anlass gab, die Frage der Erziehungsfähigkeit in den Raum zu stellen.

Weimarer Beschluss zur Maskenpflicht

Auslöser der Diskussion um die Erziehungsfähigkeit von Corona-Leugnern war der Beschluss eines inzwischen suspendierten Familienrichters aus Weimar gegen die Maskenpflicht an Schulen - Beschluss vom 08.04.2021 - 9 F 148/21. Das Verfahren soll „abgekartet“ [3] gewesen sein, indem gezielt in der Querdenker-Szene Eltern als Antragsteller gesucht wurden, die in die Zuständigkeit dieses Familienrichters gehörten, der sich damit eine Bühne verschafft hat und seine fast 200 Seiten lange Wissenschaftskritik in die Welt gesetzt hat.

Gleichlautende Anträge wurden – weil der Musterantrag in der Szene verteilt wurde - bundesweit an etlichen Familiengerichten eingereicht, dort aber abgelehnt.


Erziehungseignung überprüft


Und dort prüften Richter von Amts wegen die Erziehungseignung der antragstellenden Eltern.

AG Wittenberg - Beschluss vom 8.4.2021 - 5 F 140/21 EASO: „Allerdings gab die Begründung der Anregung, deren sich die Mutter bedient hatte, zunächst Anlass zu der Prüfung, ob bei der Kindesmutter eine das Kindeswohl gefährdende Verkennung der tatsächlichen Gefahrenlage im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen vor dem SARS-CoV-2-Virus vorliegen könnte." In der von der Mutter verwendeten Musterbegründung wurden die Infektionsschutzmaßnahmen nämlich mit Folter verglichen. Weil die Mutter sich in der persönlichen Anhörung davon distanzierte, behielt sie das Sorgerecht.

AG München - Beschluss vom 18.3.2021 - 542 F 2559/21: „Das Gericht wird die Anregung und diese Entscheidung dem Jugendamt zur Kenntnis bringen, das dem Gericht Mitteilung machen kann, wenn aus seiner Sicht und nach seinen Ermittlungen doch ein konkreter Anlass für Ermittlungen hinsichtlich einer Gefährdung des Wohles der Kinder - nicht nur durch das Tragen von Masken - bestehen.“N

Auch beim AG Leipzig – Hinweisbeschluss vom 15.04.2021 - 335 F 1187/21 – drehte das FamG den Spieß um: „Allerdings gelangt das Gericht zu der Einschätzung, dass Anlass besteht, die elterliche Erziehungseignung der Kindesmutter zu überprüfen. Damit werden die beiden Verfahren wesentlich die Prüfung zum Gegenstand haben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Kindesmutter in der Lage ist, die elterliche Verantwortung für ihren Sohn wahrzunehmen und am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidungen zu treffen.“


Rechtsauffassung ist Meinungsfreiheit


Bei diesen Sachverhalten, bei denen man sich vorstellt, dass die Verweigerung von 3G auch mit Äußerungen gegenüber Kindern gegen die Corona-Maßnahmen einhergeht, spielt nun auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG eine tragende Rolle. Man kann die Rechtsauffassung vertreten, die Corona-Regeln seien rechtswidrig und der Verstoss gegen solche unrichtigen Regeln sei durch Notwehr, Nothilfe oder Notstand gerechtfertigt [4]. Man darf das auch: Rechtsauffassungen sind Werturteile, keine Tatsachenbehauptungen.

Es ist der Sinn von Meinungsäußerungen, geistige Wirkungen auf die Umwelt ausgehen zu lassen, meinungsbildend und überzeugend zu wirken. Deshalb sind Werturteile von Art. 5 Abs. 1 GG durchweg geschützt, ohne dass es darauf ankäme, ob die Äußerung „wertvoll“ oder „wertlos“, „richtig“ oder „falsch“, „emotional oder rational begründet ist“. [5]

Es gab auf unserem Territorium schon „Rechtssysteme“, in denen politisch Andersdenkenden die Kinder weggenommen wurden. Die heutige Bundesrepublik wird mit solchen Maßnahmen nicht in einem Atemzug genannt werden wollen und garantiert den Eltern in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Sie können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Eigenverantwortung gerecht werden.

 

Recht auf nicht-perfekte Eltern


Jedes Kind hat das Recht auf seine nicht-perfekten Eltern: Im Rahmen der §§ 1666, 1666a BGB ist stets zu beachten, dass kein Kind Anspruch auf „Idealeltern“ und optimale Förderung hat und sich die staatlichen Eingriffe auf die Abwehr von Gefahren beschränken. Für die Trennung der Kinder von den Eltern oder einem Elternteil ist es daher nicht ausreichend, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zur Erziehung und Förderung besser geeignet sind. Vielmehr gehören die Eltern und deren gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes.[6]

Also führt die Abwägung der Grundrechte zu dem Ergebnis: Kinder müssen nicht per se vor der Meinung ihrer Eltern geschützt werden, auch nicht Kinder von Corona-Leugnern.

Zurück zur Umgangsthematik bedeutet dies, dass das Kind in der Regel auch aushalten muss, wenn sein nicht mit ihm zusammen lebender Elternteil sich nicht impfen oder testen lassen möchte. „In der Regel“ meint die Ausnahmen mit, die das OLG Nürnberg am 12.04.2021 - 10 UF 72/21 angedeutet hat: es kann konkrete Umstände geben, die vor Durchführung eines Umgangstermines einen negativen Test erfordern.

Diese generelle Schlussfolgerung kann aber ihre Grenze am Willen des Kindes finden, wie immer in Umgangsfragen. Es ist gut denkbar, dass ein Kind, das von seinem Obhuts-Elternteil gelehrt wurde, sich vor einer COVID19-Infektion zu fürchten und alles mögliche für dessen Vermeidung zu tun, eine Begegnung mit dem ungeimpften, ungetesteten und sorglosen Elternteil ablehnt.

Soweit dieser geäußerte Kindeswille aber als „induziert“ und Ausdruck eines Loyalitätskonfliktes entlarvt wird, wird dem Obhuts-Elternteil auferlegt werden, gegen seine innere Haltung das Kind zum Umgang und zum Respekt vor dem andersdenkenden Elternteil zu motivieren, auch bei älteren Kindern [7].

Umgangsausschluss auf unbestimmte Zeit

Erschwerend kommt hinzu, dass derjenige Richter, der den Umgang von der 3G-Regel abhängig machen wollen würde, deren Einhaltung der Elternteil aber aus Prinzip verweigert, sich mit dem Aspekt des Ausschlusses auf unbestimmte Zeit auseinandersetzen muss. Denn es ist nicht absehbar, wann die Pandemielage sich dergestalt verändert hätte, dass die Ausschlussgründe nicht mehr tragen.

Nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB ist das zwar grundsätzlich möglich, je gravierender allerdings in das Elternrecht eingegriffen wird, umso konkreter muss die Kindeswohlgefährdung sein.

Fazit

Im Regelfall wird keine gerichtliche Auflage zu erreichen sein, dass Umgang bis zum Ende der Pandemie ausfällt, nur weil der Umgangsberechtigte sich nicht impfen oder testen lassen will.

Bei Kindern ab einem entsprechendem Alter wird die praktische Lösung für den besorgten Elternteil dann in deren eigener Impfung liegen, die auch gegen den Willen des Anderen zu erreichen ist [8].

 


[1] Quelle: https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Corona/SorgeUmgangsrecht/Corona_Umgangsrecht_node.html

 

[2] https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2020-12/Wissenschaftsbarometer_2020_Broschuere.pdf

[3] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/weimar/weimar-urteil-masken-schule-justiz-corona-100.html

[4] https://de.rt.com/gesellschaft/119733-corona-ausschuss-institutionalisierter-kindesmissbrauch/

[5] BVerfG, Beschluss vom 05.03.1992 – 1 BvR 1770/91

[6] Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 12.07.2013 – 2 UF 227/12

 

[7] OLG Brandenburg - Beschluss vom 17.06.2021 - 9 UF 39/21

[8] OLG Frankfurt am Main - Beschluss vom 17.08.2021 - 6 UF 120/21


Corona als Joker der Umgangsverweigerer

Ich hatte mich recht früh - Mitte März 2020 - zu Beginn der Kontaktbeschränkungen wegen Corona auf eine Rechtsmeinung festgelegt, welche Folgen das für Umgangskontakte zu getrennt lebenden Elternteilen hat. Da habe ich mich eindeutig und sicher auch mutig aus dem Fenster gehängt – und der Deubnerverlag (mein Heimatverlag), aber dann auch NZFam und der FamRB haben gern zugegriffen, das zu veröffentlichen – ich war damit in Lokalzeitungen und im Fernsehen, auch in der Legal Tribune Online – und angeblich hat das OLG Brandenburg mich schon zitiert.

Zum Glück haben die weiteren Entwicklungen gezeigt, dass ich mit meiner Meinung nicht ganz schief lag, sondern sich diese zur "herrschenden Meinung" herauskristallisiert - andere Ansicht in Einzelfällen includiert.

§ 1687 BGB regelt, dass jeder Elternteil während seiner Zeit mit dem Kind alle Entscheidungen treffen kann, die den anderen nicht betreffen. Das ist für den Lebensmittelpunkt-Elternteil die „Alleinentscheidungsbefugnis in Alltagsangelegenheiten“. Beim Umgangs-Elternteil heißt das „Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung“. § 1687a BGB erstreckt dies übrigens auch auf Umgangs-Eltern, die nicht Inhaber der elterlichen Sorge sind.

Es kommt häufig vor, dass der Lebensmittelpunkt-Elternteil gewisse Wünsche an die Umgangsgestaltung hat, nicht erst "seit Corona". Das reicht von „früher ins Bett“ über "nicht so viel Playstation" bis zu besonderer Ernährung. Der Klassiker ist die neue Freundin, die auf Wunsch der Mutter nicht am Umgang teilnehmen soll. Und auch da haben wir uns oft gefragt, wie lang der lange Arm des Lebensmittelpunkt-Elternteiles in den Umgang eigentlich ist.

Das Stichwort dazu ist die Elternautonomie, die immerhin Grundrechtsrang hat (Art. 6 GG). Die gilt für beide! Der Umgangs-Elternteil erzieht nicht "im Auftrag".

Dieses Grundrecht ist begrenzt durch § 1666 BGB (Kindeswohlgefährdung), aber auch durch § 1684 Abs. 3: danach kann das Familiengericht nicht nur den Umfang von Umgang regeln, sondern auch die konkrete Ausübung / Auflagen erteilen. Auch das müsste aber das Kindeswohl objektiv erforderlich machen. Auflagen gibt es übrigens auch für beide. In diesem Zusammenspiel muss man auch die Alleinentscheidungsrechte des § 1687 sehen.
Fazit: was nicht gegen § 1666 verstößt und auch kein Grund für familiengerichtliches Einschreiten nach § 1684 Abs. 3 wäre, das muss man als Elternteil beim anderen ertragen. Immerhin hat man sich den (meistens) als Erziehungspartner ausgesucht (Auswahlverschulden).

Fazit für Corona:
Die mit dem Umgang verbundenen Risiken entsprechen im Normalfall denen bei der Teilnahme am Strassenverkehr, beim Schwimmen oder sonstigen Sportarten. In allen Fällen erwartet man von beiden Eltern, dass sie ihr Kind gut schützen - Umgangsrestriktionen ergeben sich daraus nicht "naturgemäß". Dass auch die Corona-Verordnungen nie Elternkontakte meinten, finden Sie weiter unten.

Ihre Fragen rund um Kindeswohl können wir telefonisch oder per Videocall besprechen. Ich rechne dies nach Zeitaufwand ab.


Ich habe also an verschiedenen Stellen die fachliche Auffassung geäußert, dass nur auf das Wohl des konkreten Kindes und auf behördliche Verbote abzustellen ist, während die allgemeinen Corona-Verhaltensempfehlungen keine Rolle für die sorge- und umgangsrechtlichen Fragen spielen dürfen. Inzwischen gibt es einige gerichtliche Entscheidungen, z.B. über Ordnungsgeld, die diese Auffassung stützen.


Die nachfolgend zitierten Entscheidungen sind bezüglich ihrer Allgemeingültigkeit immer vor dem Hintergrund ihrer zeitlichen Einordnung in das dynamische Pandemie-Geschehen auszuwerten.

Völlig anderer Auffassung als ich war im Frühjahr 2020 eine Richterin am AG München.

Sie hielt den gesamtgesellschaftlichen Schutz vor Infektionsdruck für ein Abwägungskriterium beim Kindeswohl.


Daraus folgte bei ihr:

AG München: Kind wechselt zum Vater ins Home-Office statt in die KiTa-Notbetreuung

Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer Ausgabe vom 5. Mai 2020 über eine solche Eilentscheidung.

Es handelte sich um ein "gerichtsbekanntes" Elternpaar, das in 10/2018 und 1/2019 schon gerichtliche Hilfe benötigt hatte, um den Umgang des bei der Mutter lebenden Kindergartenkindes mit dem Vater zu regeln.
Deshalb konnte die Richterin "nach Aktenlage" eilig ohne persönliche Anhörung der Eltern und des Kindes vorgehen.
Die Mutter arbeitet in einem systemrelevanten Beruf und nahm die Corona-Notbetreuung der KiTa in Anspruch.
Der Vater arbeitet im Home-Office und begehrte die Alltagsbetreuung bei sich.
Offenbar waren Übergaben als Stressfaktor für das Kind bekannt.

Die Entscheidung:
Der Vater betreut nun das Kind "vorläufig bis zum Ende der landesweiten Schließung von Schulen und KiTas" Montags 8 Uhr bis Freitags 15 Uhr. Die Übergaben zur Mutter am Wochenende finden an einem öffentlichen Ort statt.

In den Gründen geht es nicht um das Wohl dieses speziellen Kindes, sondern um allgemeine Erwägungen. Es bestehe in KiTas eine erhebliche Ansteckungsgefahr, und auch wenn Kinder häufig symptomfrei blieben, so trügen sie die Infektion in die Familien. Damit steige der Infektionsdruck auf die mittlere und (vulnerable) ältere Altersgruppe.

Die Notbetreuungen seien nur für Notfälle.
Das sei hier nicht der Fall, weil der Vater bereit stehe.

Dem Familienrechtler stellen sich Fragen, welche sich aus der Entscheidung ohne Kenntnis des weiteren Sachverhaltes nicht beantworten:
  • Warum hat die Richterin im Umgangsverfahren den Lebensmittelpunkt verändert?
  • Ist die zeitliche Anknüpfung an die staatlichen Lockerungen in ihrer Unbestimmtheit möglich?
  • Ist der faktische Eingriff ins Sorgerecht beschwerdefähig oder muss tatsächlich abgewartet werden, bis es eine mündliche Verhandlung gibt - dann ist ggf. der Fall durch Zeitablauf erledigt, falls die Richterin mit denselben Argumenten zurzeit keine mündliche Verhandlung anberaumt?
  • Warum genügte es der Richterin nicht, dass das Kind nur die KiTa-Zeit beim Vater verbringt und "nach Feierabend" zur Mutter geht? Abwägungen dazu fehlen in den Gründen.
  • War die Richterin auch "ohne Corona" der Meinung, dass das Kind mehr beim Vater sein sollte, und das war schon Gegenstand der vorangegangenen Verfahren?
  • Wie schafft der Vater sein Home-Office kindkompatibel? Abwägungen dazu fehlen in den Gründen.
Problem: Bleibt man wie das AG München auf der „Umgangsebene“, so ist ein Rechtsmittel gegen die einstweilige Anordnung nicht gegeben (so jedenfalls das OLG München zur Beschwerde der Mutter gegen die versagte VKH, Beschluss v. 16.4.2020 – 26 WF 407/20).
Link zur Süddeutschen Zeitung

AG Aachen hat zur Notbetreuung anders entschieden - siehe unten.

Ebenfalls anders, also eher auf meiner Linie, entschied man an meinem Heimatgericht in Monschau (nicht mein Fall, eine Kollegin leitete mir den Beschluss 6 F 53/20 zu:

Ab Frühjahr 2021 wurde das Pandemie-Geschen um die Möglichkeit der Impfung bereichert - und damit auch neuer Konfliktstoff zwischen Eltern geschaffen:

Umgangskontakte können nicht davon abhängig gemacht werden, dass die umgangsberechtigte Person gegen das Corona-Virus geimpft ist

OLG Nürnberg, Beschluss v. 12.04.2021 – 10 UF 72/21: Die Antragstellerin hat, auch wenn sie geimpft werden wollte, keinerlei Einfluss darauf, zu welchem Zeitpunkt sie innerhalb ihrer Prioritätsgruppe letztendlich an der Reihe ist, sich einer Schutzimpfung gegen die Covid 19 - Erkrankung zu unterziehen. Von der Antragstellerin, die nicht ersichtlich zu einer Gruppe mit höherer Priorität gehört, würde daher etwas Unmögliches verlangt, was faktisch auf einen Ausschluss des Umgangs hinauslaufen würde. Ein solcher Ausschluss ist aber nur zulässig, wenn sonst das Wohl des Kindes gefährdet würde (§ 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB). Das ist aber nicht der Fall, nachdem sich die Mutter zu einem Test vor jedem Umgang bereit erklärt hat.

Umgangskontakte können unter bestimmten Voraussetzungen davon abhängig gemacht werden, dass sich die umgangsberechtigte Person zuvor einem Test auf Infektion mit dem Corona-Virus mit negativem Ausgang unterzieht

OLG Nürnberg, Beschluss v. 12.04.2021 – 10 UF 72/21: Grundsätzlich kann eine Testung von dem umgangsberechtigten Elternteil nur dann gefordert werden, wenn hierfür die Voraussetzungen nach den von den Gesundheitsämtern vorgegebenen Richtlinien gegeben sind, etwa das Vorliegen Covid 19 - typischer Symptome oder der Kontakt mit erkrankten Personen (s. OLG Braunschweig, Beschluss vom 22. Mai 2020 - 1 UF 51/20, Tz. 21 -, juris).


Hierzu hat der Antragsgegner nicht vorgetragen und stützt sich lediglich auf die allgemeine Gefahrenlage, die die Corona-Krise mit sich bringt. Das Vorliegen von Covid 19 - typischen Symptomen oder der Kontakt mit erkrankten Personen (s. dazu OLG Braunschweig a.a.O) könnte schließlich nur kurz vor Beginn eines Umgangs eingewandt werden. In einem solchen konkreten Fall könnte der Antragsgegner ggf. eine Testung verlangen. Eine Verpflichtung zur Testung auf „Vorrat“ gibt es jedoch nicht.


Auch in Frankfurt führte schon im Frühjahr 2020 die Abwägung von Infektionsrisiken einerseits und elterlicher Bindung andererseits dazu, dass nicht "wegen Corona" einfach Umgang ausfällt.

Die Aufrechterhaltung der Bindung zwischen dem umgangsberechtigten Elternteil und seinen Kindern überwiegt die Gefahren der Umgangskontakte auch im Hinblick auf das Coronavirus

AG Frankfurt a. M., Beschluss vom 9.4.2020 – 456 F 5092/20

Der Fall:
Ein Vater hatte jeden Samstag von 11-17 Uhr Umgang. Der Umgang selbst war nicht begleitet, aber eine Umgangspflegerin brachte die Kinder von der Mutter zum Vater. Gegenstand des Verfahens war die Änderung des Vergleiches, da die Umgangspflegerin COVID19-Risikogruppe sei und keinen physischen Kontakt wolle. Telefonisch stehe sie zur Verfügung.

Die Entscheidung:
Unter Abwägung der wegen der Pandemie mit außerhäuslichen Kontakten verbundenen Gesundheitsrisiken einerseits und des Abbruchs der Bindung zwischen den Kindern und ihrem Vater andererseits überwiegt das Interesse an der Aufrechterhaltung der Bindung und Durchführung persönlicher Kontakte zwischen den Kindern und ihrem Vater. Die Nutzung von Fernkommunikationsmittel und sozialen Medien kann den Umgang nicht ersetzen. Mangels Absehbarkeit der weiteren Entwicklungen konnte kein konkretes Datum für die vorübergehende Ausgestaltung der Umgangskontakte festgelegt werden, so dass auf die Geltungsdauer der Verordnung zur Beschränkung sozialer Kontakte abzustellen gewesen wäre.

AG Frankfurt a. M. (Familiengericht), Beschluss vom 16.04.2020 – 456 F 5086/20 EAUG hat ein Ordnungsgeld von 5.000 € gegen eine Mutter verhängt, die "wegen Corona" begleitete Umgangstermine abgesagt hat.


Die Mutter schrieb an den Umgangsbegleiter: „Die globale Corona Situation verschärft sich drastisch, so dass ich zum Schutze meiner Tochter hiermit bis Ende April alle Umgangstermine absage." Sie ließ sich nicht umstimmen, als das Gericht ihr schrieb, dass der Beschluss dennoch gelte.


Besonderheit des Falles: Der Beschluss zur Umgangsregelung stammte vom 31.3.2020, also in Kenntnis der Pandemie. Das Ordnungsgeld war übrigens so hoch, weil die Mutter exorbitant mit 30.000 bis 50.000 netto pro Monat verdiente und man vielleicht den Eindruck hatte, dass ihr deshalb Geld egal war. Wenn man das rückrechnet, waren es 20 "Tagessätze".



OLG Braunschweig im Mai 2020: Wegen Corona fällt Umgang nicht aus - und das sogar, wenn das Kind Covid19-krank wäre

OLG Braunschweig 20.5.20, 1 UF 51/20: Die Corona-Pandemie führt grundsätzlich nicht dazu, dass dem nicht betreuenden Elternteil der Umgang mit seinem Kind verweigert werden kann.

Der Vater V  des fast sechsjährigen Mädchens hatte beim Familiengericht eine Umgangsregelung erwirkt, die Kontakte mit seiner Tochter T am Wochenende mit Übernachtungen vorsah. Dagegen hatte die Mutter M Beschwerde zum OLG eingelegt und hierfür VKH beantragt.

Der Antrag blieb erfolglos. Der 1. Familiensenat entschied, dass der Umgang mit dem V dem Kindeswohl diene. Die M sei auch nicht berechtigt, die Kontakte aufgrund der Corona-Pandemie zu verweigern. Die Pandemie biete weder einen Anlass, bestehende Umgangsregeln abzuändern, noch den Umgang auszusetzen.

Auch wenn der V und das Kind nicht in einem Haushalt leben würden, sei der Umgang nicht verboten. Der Umgang zwischen einem nicht betreuenden Elternteil und seinem Kind gehöre zu dem absolut notwendigen Minimum zwischenmenschlicher Kontakte, betonte der erste Familiensenat.

Etwas Anderes gelte nur, wenn der Kontakt aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich sei, etwa wegen Quarantäne, Ausgangssperre oder der nachweislichen Infektion des umgangsberechtigten Elternteils oder eines Angehörigen seines Haushalts mit Covid 19. Die Erkrankung des Kindes selbst stehe einem Umgang dagegen grundsätzlich nicht entgegen, weil auch der zum Umgang berechtigte Elternteil sein krankes Kind versorgen und pflegen könne.


Vater wollte Auflagen für Mutter, die Corona-Einschränkungen besser zu beachten - abgewiesen

OLG Brandenburg, 3.4.2020, 13 UFH 2/20

Der Fall:
Der Vater beantragte im Eilverfahren, dass die Kinder statt bei der Mutter vorerst bei ihm leben, weil sie die Corona-Ausgangsbeschränkungen nicht ernst genug nehme. Er zählte dafür auf, wann sie sich mit wem getroffen habe. Ausserdem sah er eine Gefahr von einem jungen Hund ausgehen. Ingesamt wurde Fehlverhalten und Erziehungseinschränkungen der Mutter thematisiert.
Das OLG verhängte gegen die Mutter tatsächlich kindeswohl-schützende Auflagen, allerdings keine wegen Corona, nur wegen des Hundes.
Corona betreffend heisst es, dass die Bußgeldverordnungen des Landes wohl ausreichen würden, um die Mutter von Verstößen abzuhalten. Die weiteren Fragen, die generell die Erziehungsfähigkeit betreffen, könnten im Hauptsacheverfahren geprüft werden. Ein sofortiger Wechsel der Kinder zum Vater sei vorgreiflich und daher nicht anzuordnen.

Download: OLG Brandenburg 3.4.2020 13 UFH 2/20 zu Corona-Auflagen während der Umgangszeit

Corona als "Joker" für Umgangsverweigerung

Im Kölner Stadtanzeiger habe ich mich dazu geäußert, dass in vielen ohnehin fragilen Umgangsfällen der Umgang "wegen Corona" ausgesetzt wird, mMn zu Unrecht.
Download: Beitrag im Kölner Stadtanzeiger zu Umgangsverweigerung "wegen Corona"

Im Ordnungsgeldverfahren wird geprüft, ob coronabedingt die Umgangsregelung zu modifizieren war

OLG Nürnberg - Beschluss vom 15.09.2020 -10 WF 622/20:

Grundsätzlich ist es auf Grund der aus der Corona-Pandemie resultierenden Risiken und Restriktionen nicht erforderlich, eine besondere, der Situation angepasste generelle Neuregelung des Umgangs zu treffen. Eine Umgangsregelung beinhaltet es nämlich durchaus, dass die Durchführung des Umgangs entfällt, wenn zwingende Gründe entgegenstehen. Die Frage, ob ein solcher Hinderungsgrund, der das Entfallen eines Umgangstermins rechtfertigt, tatsächlich vorliegt, ist mithin im Rahmen der Umgangsvollstreckung nach § 89 FamFG zu klären. So kann der Umgang dann vorübergehend nicht mit den Ordnungsmitteln nach § 89 FamFG durchgesetzt werden, wenn die Ausübung des Umgangs punktuell coronabedingt nicht möglich ist, da zwingende Hinderungsgründe entgegen stehen.


Allein das Bestehen der Corona-Pandemie rechtfertigt es aber nicht, den Umgang auszusetzen, worauf auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz auf seiner Homepage ausdrücklich hinweist (www.bmjv.de/DE/Themen/Fokus/Corona/SorgeUmgangsrecht). Insbesondere besteht kein gesetzliches Verbot für die Durchführung des Umgangs und ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass Umgangsberechtigter und Kind nicht in einem Haushalt wohnen, denn zu dem absolut notwendigen Mindestmaß an zwischenmenschlichen Kontakten gehört gerade der Umgang zwischen dem nicht betreuenden Elternteil und seinem Kind (OLG Braunschweig, Beschluss vom 20.05.2020, 1UF 51/20, COVuR 2020, 254 - Rn 20).


Ob ein unter Verweis auf Corona abgesagter oder nur modifizierter Umgangskontakt ohne Verschulden im Sinne des § 89 Abs. 4 FamFG entfallen ist, ist darüber hinaus an Hand des Einzelfalls festzustellen, nämlich ob auf Grund einer behördlichen Anordnung einer Quarantäne, einer Ausgangssperre oder einer nachweislichen Infektion des umgangsberechtigten Elternteils oder eines Angehörigen seines Haushalts mit Covid 19 ein Kontakt nicht möglich ist. Dabei spielt der Umstand, in welchem Grad der jeweils Beteiligte des Umgangs von der Pandemie betroffen ist, eine maßgebende Rolle (Rake, FamRZ 2020, 650).


Vorliegend lag zu den vereinbarten Umgangszeitpunkten weder eine nachweisliche Infektion der umgangsberechtigten Mutter noch eines über die Mutter in Kontakt mit dem Kind tretenden anderen Erwachsenen vor. Soweit der Antragsgegner in diesem Zusammenhang geltend macht, dass der Mann, der die Antragstellerin bei der Abholung von A am 06.03.2020 begleitet habe, bei der Übergabe gehustet habe, lassen sich hieraus keinerlei tragfähigen Rückschlüsse auf eine Erkrankung an Covid 19 und daraus resultierende mögliche Ansteckungsgefahr ziehen. Bei entsprechenden Erklärungen des Antragsgegners handelt sich vielmehr um bloße Ängste und Vermutungen. Ebenso wenig lag eine nachweisliche Erkrankung des Kindes selbst vor, wobei nicht einmal diese einen Umgang grundsätzlich entgegen gestanden hätte, da auch der zum Umgang berechtigte Elternteil sein krankes Kind versorgen und pflegen kann (OLG Schleswig, FamRZ 2018, 1946).

Eine Quarantäneanordnung nach § 30 Abs.1 IfSG gegen den Antragsgegner bzw. die Antragsstellerin oder eine ihrem Haushalt angehörige Person lag ebenfalls nicht vor.


Soweit vom betreuenden Elternteil geltend gemacht wird, sich mit dem Kind unter Verweis auf Corona in eine freiwillige Quarantäne begeben zu wollen, ist, um einen Missbrauch dieses Einwands in den Konstellationen, in denen es zu einer sachlich nicht veranlassten freiwilligen Quarantäne auf Seiten des betreuenden Elternteils kommt, für eine Exkulpation nach § 89 Abs. 4 FamFG zu fordern, dass es hinreichende, objektiv feststellbare Gründe für einen häuslichen Rückzug gibt, beispielsweise den Aufenthalt in einem besonders betroffenen Gebiet oder den Kontakt mit einem an Covid 19- erkrankten Menschen (Rake, FamRZ 2020, 651).

Einen sachlich veranlassten Grund auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu verzichten, gab es nicht.


AG Aachen im Mai 2020: Mutter darf allein über Notbetreuung entscheiden, auch wenn Vater betreuungsbereit ist

Angesichts der veränderten schulischen Rahmenbedingungen während der Corona-Pandemie und angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner sich gegenüber den Schulen dezidiert gegen eine Notbetreuung wendet, hat die Ermöglichung der in Rede stehenden Beschulungsform eine gesteigerte Relevanz erlangt und kann jedenfalls temporär als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i. S. v. § BGB § 1628 BGB behandelt werden.

AG Aachen, Beschluss vom 15.5.2020 – 220 F 136/20

Der Fall:
Die Eltern streiten zurzeit ohnehin über den künftigen Lebensmittelpunkt ihrer Söhne vor Gericht.
Die Mutter arbeitet in systemrelevantem beruf und möchte die Kinder zur sog. Notbetreuung anmelden. Der Vater ist dagegen.

Das FamG Aachen hat  der Kindesmutter mit einem Eilbeschluss die alleinige Entscheidungskompetenz wie folgt gegeben: „Auswahl und Organisation nebst sämtlichen zugehörigen Willenserklärungen in Zusammenhang mit der schulischen Betreuung der beiden Kinder, soweit diese vom regulären Schulbetrieb abweicht; insbesondere in Gestalt der Notbetreuung während der aktuell andauernden Corona-Pandemie“.

Zwar sei üblicherweise eine außerschulische Betreuung in der Alltagsentscheidungsbefugnis des alleinerziehenden Elternteiles (§ 1687 BGB) enthalten, angesichts der besonderen schulischen Rahmenbedingungen während der Pandemie und angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner sich gegenüber den Schulen dezidiert gegen eine Notbetreuung wendet, habe die Ermöglichung der Notbetreuung eine gesteigerte Relevanz erlangt und könne jedenfalls temporär als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung iSv § BGB § 1628 BGB behandelt werden.

Die Besorgnis des Antragsgegners, wonach die Teilnahme der Kinder an der Notbetreuung ein höheres Infektionsrisiko berge, teilt das Gericht nicht. Angesichts der getroffenen Schutzvorkehrungen sei dieses Risiko gemildert und ist abzuwägen gegen die Nachteile einer andauernden Isolation im häuslichen Umfeld. Die Kinder deren Eltern die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Notbetreuung erfüllen, seien in der augenblicklichen Lage privilegiert. Es erschließe sich nicht, wie der Antragsgegner „die Erkenntnis gewonnen (hat), dass die Kinder in der Notbetreuung lediglich verwahrt, nicht aber gefördert werden“. Auch in der Notbetreuung bestehe ein qualifizierter pädagogischer Ansatz und die Außenkontakte dürften der kindlichen Entwicklung förderlich sein. Es stehe nicht in Zweifel, dass der Antragsgegner mit seinen Kindern sachgerecht umgehen könne, jedoch stellt dies keine gleichwertige Alternative zur jetzt eröffneten schulischen Betreuung dar. Angesichts der angespannten Lage vermöge der Antragsgegner die Antragstellerin aber sehr wohl anlässlich seiner Umgangsbesuche in den sonstigen Lebensbereichen der Kinder zu entlasten.

Das AG Aachen sieht es also anders als das oben zitierte AG München.

AG Marl im Dezember 2020: Eltern dürfen verschiedene Wege im Umgang mit der Pandemie für richtig halten - kein Umgangsausschluss

Das AG Marl (Familiengericht) hatte anders als Aachen die Entscheidung über OGS-Notbetreuung als Alltagsangelegenheit angesehen, über die die Mutter allein entscheiden könne.


Zwischen denselben Eltern ging der Streit um ihre unterschiedlichen Bedürfnisse beim Infektionsschutz weiter und gipfelte im Antrag der Mutter auf Umgangsausschluss gegen den Vater, weil der ihr manches zu streng handhabte:

Weil sein Vater (krebskrank, Hochrisikopatient) mit im Haus lebte, ließ er die Kinder vor jedem Umgangskontakt mit Rachen-Nasen-Abstrich testen, außerdem war im Haus Masken- und Abstandspflicht.

Das AG Marl glaubt, dass Kinder gut damit klarkommen, wenn getrenntlebende Eltern bei der Abwägung zwischen Infektionsschutz und Kindeswohl unterschiedliche Auffassungen haben.

§ 1628 BGB erlaubt ihnen, ihre Regeln in ihrer Betreuungszeit umzusetzen. Für den Antrag auf Umgangsausschluss bekam die Mutter keine VKH.

AG Marl, Beschluss vom 29.12.2020 – 36 F 347/20

Wurde von mir in der NZFam 6/21 Seite 272 besprochen


Besuchsverbot für Eltern im Kinderheim ist grundrechtswidrig

Dem machte jedoch das Verwaltungsgericht Hamburg - Beschluss v. 16.4.2020 – 11 E 1630/20 - ein Ende und erklärte die Regelung in der Hamburgischen SARS-CoV-2-EindämmungsVO, die es Eltern verbot, ihre in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebrachten Kinder zu besuchen, als grundrechtswidrig (Art. 6 GG): "Ein pauschales Besuchsverbot, das zu einem kompletten Kontaktabbruch zwischen Eltern und Kindern führt, ohne dabei etwa nach dem Alter der Kinder, der Qualität der bisherigen Eltern-Kind-Beziehung, der Häufigkeit der bisherigen Umgangskontakte oder sonstigen Aspekten zu differenzieren, ist unverhältnismäßig."

Wichtig: Es gibt regionale Unterschiede!

Diese Veröffentlichung kann eine Beratung im Einzelfall schon deshalb nicht ersetzen, weil es regionale Unterschiede gibt. Zum einen gibt es den Unterschied zwischen der Ausgangssperre und dem Kontaktverbot. Zum anderen sind viele Details landes- oder sogar ortsspezifisch in sog. Allgemeinverfügungen geregelt. Das ist auch sinnvoll, weil es gewaltige örtliche Unterschiede gibt, z.B. wie hoch die Infektionsrate bereits ist, wie dicht die Region besiedelt ist, wie die Intensivbettenversorgung ist usw.

Umgangsverfahren wird ausgesetzt wegen Corona

Das Beschleunigungsgebot des § 155 Absatz 1 S. 2 FamFG verliert in der Abwägung gegen die Maßnahmen zur Verhinderung der raschen Verbreitung des Corona-Virus beim

AG Frankfurt a. M., Beschl. v. 8.4.2020 – 456 F 5080/20 UG

Anders aber 2021:

Die andauernde Covid-19-Pandemie stellt keinen wichtigen Grund i.S. von § 20 FamFG dar, der es rechtfertigen würde, ein Umgangsverfahren wegen bestehender Gesundheitsgefahren auszusetzen. Vielmehr ist angesichts der nunmehr mehr als ein Jahr andauernden Pandemie davon auszugehen, dass Kinder an die Einhaltung der Hygienevorschrift einschließlich des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes gewöhnt sind und die Durchführung einer Gerichtsverhandlung auch ohne Gesundheitsgefahren möglich ist.

OLG Brandenburg - Beschluss vom 08.04.2021 - 13 WF 38/21


Auslandsreisen mit Kind in Corona-Zeiten:

Alltagsangelegenheit oder gemeinsame Entscheidung?

1. Eine Flugreise während der Corona-Pandemie (hier: nach Nicaragua ) ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind i.S. des § 1687 I S. 1 BGB.
2. In Anbetracht der Gefahren, die sich bei einer gemeinsamen Flugreise mit anderen infizierten Personen ergeben könnten, ergeben sich – auch im Hinblick auf die medizinische Versorgung - bei einer Reise nach Nicaragua für das Kind größere Gefahren, als wenn das Kind in Deutschland bleiben würde.


Oberlandesgericht Frankfurt/M., Beschluss v. 13.3.2020 – 7 UF 17/20



Reise nach Mallorca – im Sommer 2020 wegen Corona keine alltägliche Entscheidung mehr


Der 2. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Braunschweig hat am 30. Juli 2020 entschieden, dass die Flugreise eines getrenntlebenden Elternteils mit den gemeinsamen Kindern in der Zeit der Corona-Pandemie keine Angelegenheit des täglichen Lebens mehr ist und daher der Zustimmung des anderen mitsorgeberechtigten Elternteils bedarf.


Die Mutter hatte in den Sommerferien eine Flugreise nach Mallorca mit den beiden gemeinsamen Kindern gebucht. Der Vater war damit nicht einverstanden.

Über Auslandsreisen, auch mit dem Flugzeug, kann grundsätzlich der jeweils betreuende Elternteil allein entscheiden, wenn die Reise nicht mit Nachteilen bzw. Gefahren für das Kind verbunden ist. Daher boten bislang Flugreisen in das europäische Ausland wenig Anlass für Streitigkeiten.

Anders ist dies, so nun der 2. Familiensenat, in den Zeiten der Corona-Pandemie: Auch wenn keine Reisewarnung für das Urlaubsziel bestehe, führe die Ausbreitung von COVID-19 weiterhin zu Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens. Hinzu komme, dass nach wie vor die Lockerungen der Beschränkungen nur auf Probe erfolgt seien und keine Planungsverlässlichkeit bezüglich eines gebuchten Rückfluges gewährleistet sei. Wenn es erneut zu staatlich notwendigen Reaktionen auf Ausbrüche des Virus komme, bestehe die Gefahr längerer Quarantänen oder eines Festsitzens im Ausland. Das könne zu einer erheblichen Belastung für das seelische Wohlbefinden eines Kindes führen. Überdies gebe es weiterhin Unsicherheiten über die Infektionswege des Coronavirus, weshalb auch nicht geklärt sei, welche konkrete, gegebenenfalls erhöhte Ansteckungsgefahr im Zusammenhang mit Flugreisen beständen.

Eine Flugreise ins Ausland müsse daher durch beide sorgeberechtigten Elternteile gemeinsam entschieden werden.

Können sich die Eltern nicht einigen, kann das Familiengericht auf Antrag einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis darüber übertragen. Dabei muss sich das Familiengericht an dem Kindeswohl im konkreten Einzelfall orientieren und die Entscheidungsbefugnis auf den Elternteil übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.

Da in dem vom Familiensenat entschiedenen Fall der Reise bereits andere Gründe entgegenstanden, hat der Senat keine Aussage dazu getroffen, ob die Entscheidungsbefugnis über die geplante Reise im Hinblick auf die Corona-Pandemie dem reisewilligen oder -unwilligen Elternteil zu übertragen war.


OLG Braunschweig – 3. August 2020 - 2 UF 88/20


OLG Dresden 2021: keine Zustimmung der Mutter nötig, wenn die Reise nicht in ein Hochrisikogebiet geht

Der Vater ist berechtigt, mit seinem Sohn T...... in die USA zu reisen, ohne dass er dazu der Zustimmung der Mutter bedarf (§ 1687 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ), weil es sich dabei nicht um eine Angelegenheit handelt, die von erheblicher Bedeutung für das Kind i.S.v. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB ist. Im Ausgangspunkt sind Reisen mit dem Kind nicht als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung zu werten. Dies gilt grundsätzlich auch für Fernreisen ins außereuropäische Ausland (vgl. JHA/Rake, Familienrecht, 7. Aufl., § 1687 BGB Rdnr. 10; Staudinger/Dürbeck [2019], § 1684 Rdnr. 85).

Dagegen handelt es sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn die geplante Fernreise in ein politisches Krisengebiet führen soll oder für den konkreten Urlaubsort Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes vorliegen. Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben. Vielmehr überwiegen trotz der weltweit fortbestehenden Corona-Pandemie die Vorteile der Durchführung der Reise für die kindliche Entwicklung etwaige damit verbundene Nachteile (vgl. zur erforderlichen Abwägung auch OLG Braunschweig, FamRZ 2020, 1658 , 1659; Sachenbacher, FamRZ 2021, 917 , 921).

Dabei fällt ins Gewicht, dass die USA seit dem 13.06.2021 vom Robert-Koch-Institut nicht mehr als Risikogebiet eingestuft werden. Die Bundesregierung hat mit Wirkung vom 20.06.2021 sämtliche Einreisebeschränkungen für in den Vereinigten Staaten ansässige Personen aufgehoben. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die USA liegt nicht mehr vor. Eine Quarantäne-Pflicht droht dem Antragsteller und seinem Sohn gegenwärtig weder in den USA noch in Deutschland. Die aus der Corona-Pandemie folgenden allgemeinen Infektions- und - daraus resultierende - Erkrankungsrisiken führen zu einer lediglich abstrakten Gesundheitsgefahr, der auf den Flugreisen selbst durch die gegenüber den Fluggesellschaften weiterhin bestehende Testpflicht und im Übrigen durch Einhaltung von Hygienemaßnahmen, wie sie etwa vom Robert-Koch-Institut empfohlen werden, ausreichend begegnet werden kann. Hinzu kommt, dass nach Angaben des Antragstellers die Großeltern sowie der gesamte Freundes- und Bekanntenkreis vor Ort in den USA bereits vollständig geimpft sind.

Die Wahrscheinlichkeit, dass T...... zum Ablauf des Ferienumgangs am 19.07.2021 nicht nach Deutschland zurückkehren kann und hierdurch sein seelisches Wohl beeinträchtigt werden könnte, ist unter diesen Umständen für den fraglichen Zeitraum - auch angesichts neuerer Virusmutationen - nur als gering zu beurteilen. Die Risikobewertungen des Robert-Koch-Instituts und des Auswärtigen Amtes scheinen auch im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung gemäß §§ 1687 Abs. 1 , 1628 BGB tragfähig (vgl. hierzu auch Rake, FamRZ 2020, 1650 , 1652). Danach ist eine Auslandsreise in die USA derzeit nicht mehr als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind einzustufen.


OLG Dresden, Beschluss vom 25.06.2021 - Aktenzeichen 21 UF 350/21


Immer lesenswert ist auch in diesem Zusammenhang übrigens § 1627 Abs. 2 BGB:
Bei Meinungsverschiedenheiten müssen die Eltern versuchen, sich zu einigen.

Damit meint der Gesetzgeber, dass er sich bei Meinungsverschiedenheiten in Bagatellsachen nicht einmischen will. Das wäre sonst ein Einbruch einer staatlichen Instanz in die Familie. Stichwort „Subsidiarität des staatlichen Wächteramtes“. Deshalb ist ein gerichtlicher Antrag nach § 1628 BGB auch unbegründet, bevor außergerichtlich die Herbeiführung einer Einigung versucht wurde. Mit einem für das Kind unerheblichen Dissens sind die Eltern allein zu lassen - bis an die Grenze der Aufhebung der gemeinsamen Sorge wegen grundsätzlicher Kooperationsunfähigkeit.


Broschüre des Bundesgesundheitsministeriums

 "Tipps für Eltern"

Download: Bundesgesundheitsministerium, Broschüre "COVID19 - Tipps für Eltern"

Kinderrechte in Corona-Zeiten

Nach Ansicht der Kinderrechtekommission birgt der Corona-Notbetrieb in Familiengerichten Gefahren für die elementaren Grundrechte der betroffenen Eltern und Kinder, die es unbedingt zu vermeiden gilt. Deshalb hat die Kinderrechtkommission eine aktuelle Stellungnahme zu Kindschaftssachen in Coronazeiten verfasst. In der Stellungnahme wird aufgezeigt, dass die Kontaktbeschränkungen in praktischer Konkordanz mit elementaren Rechten und Grundbedürfnissen stehen müssen und welche Folgerungen sich daraus für die Familiengerichtsbarkeit ergeben. Zusätzlich werden Lösungsmöglichkeiten zur Herstellung praktischer Konkordanz dargeboten.
Download: Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstages: Kindschaftssachen in Corona-Zeiten

Zeitschriften-Aufsätze und Online-Veröffentlichungen von
Martina Mainz-Kwasniok zum Thema Umgang und Corona

NZFam Heft 6/ 2021; 2021, 272 Entscheidungsbesprechung von AG Marl, 29.12.2020 - 36 F 347/20 - Coronatests sind Alltagsangelegenheit


LTO (Legal Tribune Online) Umgangsverweigerung wegen Corona? Auch Patch­work ist Kern­fa­milie


„Eltern nutzen Corona als Vorwand, um das Kind bei sich zu behalten“: 17.04.2020 Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger


Deubner-Rechtsportal Familienrecht, Newsletter März 2020:  Umgangsrecht und Umgangs-Verweigerung "wegen Corona"


NZFam Heft 8/2020 vom 15. April 2020 (Verlag C.H. Beck):

Martina Mainz-Kwasniok: Umgang in den Zeiten des Corona-Virus


FamRB Ausgabe April 2020 (Verlag Otto Schmidt/ Gieseking)

Martina Mainz-Kwasniok: Umgangsverweigerung wegen Corona – ordnungsmittelfähig oder mögliches Indiz für fehlende Bindungsfürsorge?



Coronavirus-FAQ in der Jugendhilfe - DIJuF e.V.

Mehr wissen zum Thema Corona im Familienrecht


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Top-Anwalt für Familienrecht!


Nach einer Umfrage des Nachrichtenmagazins Focus unter RA-Kollegen zählt Rechtsanwältin Mainz-Kwasniok zu den Top-Familienrecht-Anwälten im Westen (2019, 2020 und 2021).


Profil

Hier berät Sie Martina Mainz-Kwasniok, mit über 20 Jahren und über 3000 Familien Erfahrung - Fachanwältin für Familienrecht und Mediatorin. Diese Internetseite ist für Sie meine kostenlose Wissens-Fundgrube - vor allem für die Lebenssituation Trennung und Scheidung, aber auch für andere Gebiete des Familienrechts. Das Surfen hier ersetzt eine typische allgemeine "Erstberatung" anderswo. Wir steigen dann im persönlichen Kontakt direkt individuell ein.

Spezialisierung

Ich beobachte die neuesten Entwicklungen in der Rechtsprechung, absolviere hochkarätige Fortbildungen und schreibe selbst Fachbücher und Zeitschriftenbeiträge für Rechtsanwälte. Vieles weiß ich daher aus dem Kopf - das zeigt sich im persönlichen Gespräch, in der effektiven Bearbeitung meiner Schriftsätze und in der Verhandlung vor Gericht.
Ich überblicke die  außergerichtlichen und gerichtlichen Lösungsansätze und berate ganzheitlich ergebnisorientiert. Aus vielfacher Erfahrung lassen sich typische komplexe Verläufe vorhersehen. Sie verlieren nicht Zeit und Geld auf Umwegen.
Ich habe mir das Familienrecht ausgesucht, weil ich leidenschaftlich meine Vorstellungen teile, wie Nachtrennungsfamilien idealerweise leben können und wie man dorthin kommen kann.

Gründe

Konflikte in der Familie können existentiell werden - finanziell und psychisch. Sie sollten sich nur einem hochspezialisierten Berater anvertrauen, der nicht nur das Familienrecht bis in alle Verästelungen kennt, sondern auch genügend taktische Erfahrung hat.
Stellen Sie Ihre Weichen von Anfang an richtig und sparen nicht an der falschen Stelle. Seien Sie anspruchsvoll - es geht um das Wichtigste.

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