Kindeswohl

§ 1666 - Gefährdung - Sachverständige - Verfahrensbeistand - Anhörung

Das Kindeswohl unterliegt keiner statischen Definition. Es ist keine Grösse, die sich objektiv und abschliessend festsetzen lässt, sondern es lässt sich nur in individuellen bzw. situationsspezifischen Arrangements auf Zeit bestimmen. Die gesellschaftliche Anschauung, was Kindern gut tut oder zumutbar ist, unterliegt dem Wandel und der Kultur.
Der Bundesgerichtshof hat im Beschluss vom 23.11.2016 – XII ZB 149/16 - zum Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung eine Relation zwischen der Erheblichkeit der drohenden Schädigung und der Anforderung an die Sicherheit der Prognose hergestellt: je schwerwiegender die drohende Schädigung, desto geringere Wahrscheinlichkeit reicht aus, um eine Kindeswohlgefährdung zu begründen. In der anderen Waagschale liegt die Schwere des Eingriffs in die elterliche Sorge.

  • Trennung: Wie sag ich es meinem Kind?

    Wie erklärt man Kindern, dass ihre Familie zerbricht? Dass darin (auch) eine Verbesserung für sie selbst liegen wird, kann man ihnen vielleicht in den Situationen erklären, in denen Streit und Gewalt das Zusammenleben geprägt haben. Trennen sich die Eltern aber, weil sie „sich nicht mehr liebhaben", ist das für die Kinder schwer zu begreifen.


    Folgende „Kinderbitten" - ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Vollständigkeit - können helfen, sich darüber klar zu werden, wie man es dem eigenen Kind sagen will.


    Kinderbitten, wenn Eltern sich trennen

    • Bevor ihr auseinanderzieht: Redet mit uns darüber und erklärt uns, was sich durch die Trennung für uns ändert - so konkret wie möglich.
    • Wir glauben, an der Scheidung schuld zu sein. Bitte nehmt uns diese Last ab.
    • Wir mögen nicht in Eure Streitereien einbezogen werden und nicht hören, dass einer schlecht über den anderen redet.
    • Wir wollen nicht mitentscheiden, wer das Sorgerecht bekommt.
    • Am liebsten soll sich so wenig wie möglich für uns ändern.
    • Wir wollen auch den von euch beiden sehen, bei dem wir nicht wohnen, und das so oft wir möchten.
    • Wir wollen auch in Zukunft alle anderen Familienmitglieder (Oma/ Opa, Tanten/Onkel etc.) sehen dürfen.
    • Vielleicht zieht ihr nicht sofort mit einem neuen Freund oder einer neuen Freundin zusammen; das wäre leichter für uns.
    • Behandelt uns nicht wie kleine Erwachsene; das sind wir nicht.
  • Broschüre: Wegweiser für getrennte Eltern

    Es gibt eine sehr gute Broschüre "Wegweiser für den Umgang nach Trennung und Scheidung". Sie enthält neben vielen rechtlichen und praktischen Informationen auch ein Muster für einen Elternvertrag.

    Sie können sich die aktuelle Auflage bestellen.


    Der Wegweiser ist als Einzelexemplar für 3,00 Euro, ab zehn Exemplaren für je 2,50 Euro, ab 100 Exemplaren für je 2,00 Euro (jeweils zzgl. Versandkosten) erhältlich bei:


    Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V.

    Tel.: 030 - 21 48 09 24

    E-Mail: bestellung@dksb.de


    Deutsche Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft e.V.

    Tel.: 030 - 28 59 99 70

    Fax: 030 - 28 59 99 71

    E-Mail: post@liga-kind.de


    Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V.

    Tel.: 030 - 69 59 78 6

    Fax: 030 - 69 59 78 77

    E-Mail: kontakt@vamv.de

  • Eltern bleiben trotz Trennung

    Die Erziehungsberatungsstelle der Caritas Leichlingen hat einen Eltern-Fragebogen ins Netz gestellt, der mir sehr gut gefällt. Sie appellieren an getrennt lebende Mütter und Väter, sich Unterstützung dabei zu suchen, sich wieder auf den Kern der Sorgeverpflichtung zu besinnen: Dafür zu sorgen, dass ihre Kinder sich sowohl auf ihre Mutter wie auf ihren Vater verlassen können, auch wenn diese nicht mehr zusammen wohnen. Und dass sie zu beiden Eltern eine unterstützende, vertrauensvolle Beziehung haben können.



    Die Fragen sollen dazu dienen, sich darüber klar zu werden, was genau Mutter und Vater dazu beitragen können, dass ihre Kinder sich wieder sicherer sein können:


    "Meine Eltern sorgen miteinander dafür, dass es mir gut geht."


    Dieser Fragebogen kann von jedem Elternteil auch alleine ausgefüllt werden.


    1.Woran genau kann unser Kind erkennen, dass wir ernsthaft für Bedingungen sorgen, die ihm ein gutes Aufwachsen ermöglichen?


    2.Was passiert bei unserem Kind, wenn es den Eindruck haben muss, dass wir nicht zusammenarbeiten?


    3. Wie kann ich mich darauf konzentrieren, gemeinsam für ein gutes Gelingen zu sorgen?


    4. Wie kann ich mich darauf besinnen, dass es für unser Kind wichtig ist, uns gegenseitig nicht herabzusetzen? Sondern ihm zu ermöglichen, auf beide Eltern stolz sein zu können?


    5. Wie soll unser Kind von uns lernen, wie man fair mit Konflikten umgeht?


    6. Wie kann unser Kind von uns lernen, mit schwierigen Situationen umzugehen?


    7. Was passiert mit unserem Kind, wenn ich schlecht über den anderen Elternteil spreche?


    8. Wie kann unser Kind lernen, dass es sich an beide Eltern wenden kann, und sich darauf verlassen, dass die Eltern sich darauf besinnen, gemeinsam eine Lösung zu finden?

  • Kinder im Blick

    Kinder im Blick ist ein Elternkurs und richtet sich

    an Eltern in Trennung. Er wird nicht gemeinsam vom Elternpaar besucht. 

    Kinder im Blick ist für getrennt lebende Eltern gedacht, die


    • Orientierung suchen, um mit der geänderten Situation umzugehen
    • ganz grundsätzlich sich selbst und ihren Kindern nach einer Trennung besser helfen wollen
    • schon länger getrennt sind und Schwierigkeiten im Umgang mit dem anderen Elternteil oder mit ihrem Kind/ihren Kindern haben
    • aktuelle und wissenschaftlich fundierte Antworten auf Fragen suchen, die den Umgang mit sich, den Kindern oder dem anderen Elternteil in der Trennungssituation betreffen

    Obwohl der Kontakt zu anderen Eltern in ähnlicher Lebenslage eine große Ressource darstellen kann, ist Kinder im Blick keine Selbsthilfegruppe. Es geht um praxisorientiertes Training, in dem Sie alltagstaugliche Kompetenzen für den Umgang mit sich selbst, dem Kind und dem anderen Elternteil erwerben können.


    Sie lernen, wie Sie eine liebevolle und konsequente Erziehung umsetzen können. Zusätzlich üben Sie, wie Sie mit eigenen schwierigen Gefühlen und mit Streitsituationen besser umgehen können und erfahren etwas über unterschiedliche Möglichkeiten elterlicher Zusammenarbeit.


    Um diese Fragen geht es dort:


    Was ist für meine Kinder in der gegenwärtigen Situation wichtig?


    Wie kann ich auch bei hohem Stresspegel eine gute Beziehung zu meinem Kind pflegen?


    Wie trage ich dazu bei, dass mein Kind sich unbeschwerter entwickelt?


    Wie können wir als Eltern besser miteinander umgehen?


    Und wie kann ich dabei auch noch für mich selbst sorgen?


    In der Auseinandersetzung um das Kindeswohl kann es sehr hilfreich sein, den Kurs bereits absolviert zu haben.

  • Welche Auflagen darf das Gericht den Eltern machen?

    Auflagen für Eltern sind nur bei konkreter Gefährdung des Kindeswohls zulässig!


    Das Amtsgericht hatte einer Mutter aufgegeben, verbindliche Zeiten und Inhalte hinsichtlich der Nutzung von TV, Computer, Spielkonsole, Tablet für ihr Kind zu finden. Darüber hinaus sollte dem Kind bis zum 12. Geburtstag kein eigenes und frei zugängliches Smartphone mehr zur Verfügung gestellt werden. Zu Recht?


    Der Fall:


    Vater und Mutter stritten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre 9 Jahre alte Tochter. Im Rahmen der Kindesanhörung ergab sich, dass das damals 8-jährige Mädchen freien Zugang zum Internet über Geräte der Mutter hatte und über ein eigenes Smartphone verfügte.


    Das Amtsgericht hat der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen, aber ihr zugleich aufgegeben, „feste Regeln, insbesondere verbindliche Zeiten und Inhalte hinsichtlich der Nutzung von im Haushalt verfügbaren Medien (insbesondere TV, Computer, Spielkonsole, Tablet) für das Kind zu finden“, einzuführen, dem Gericht mitzuteilen und umzusetzen. Das Kind dürfe kein eigenes und frei zugängliches Smartphone haben. Die Auflage wurde bis zum 12. Geburtstag des Kindes befristet.


    Gegen die Aufenthaltsbestimmung ging der Vater zum OLG. Der Verfahrensbeistand der Tochter sowie die Kindsmutter schlossen sich der Beschwerde an und begehrten die Aufhebung der Auflagen zur Mediennutzung.


    Die Entscheidung des OLG Frankfurt:

    Das OLG Frankfurt hat die Auflagen aufgehoben.


    Zur Begründung verweist es zunächst auf die Voraussetzungen gerichtlicher Auflagen nach §§ 1666, 1666a BGB. Staatliche Maßnahmen tangierten immer auch die Grundrechte der Eltern, so dass verfassungsrechtlich hohe Anforderungen an einen Eingriff in die elterliche Personensorge zu stellen seien.


    Maßnahmen dürften, so das OLG, nur getroffen werden, „wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird“. Es müsse positiv festgestellt werden, „dass bei weiterer Entwicklung der vorliegenden Umstände der Eintritt eines Schadensnachteil des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist, die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts rechtfertigt eine eingreifende Maßnahme nicht“.


    Es sei nicht Aufgabe des Staates, „die im Interesse des Kindeswohls objektiv beste Art der Sorgerechtsausübung - soweit eine solche überhaupt festgestellt werden kann – sicherzustellen“, grenzt das OLG ab.


    Die Anordnungen zur Mediennutzung und der Nutzung eines Smartphones griffen hier unberechtigt in die grundrechtlich geschützten Elternrechte der Kindesmutter ein. Eine konkrete Gefährdung des Kindes durch die Mediennutzung sei nicht festgestellt worden. "Allgemeine Risiken der Nutzung smarter Technologien und Medien durch Minderjährige begründeten nicht per se eine hinreichend konkrete Kindeswohlgefährdung." 


    Medien- und Internetkonsum durch Kinder und Jugendliche berge zwar Gefahren, denen Eltern geeignet begegnen müssten. Dies betreffe "sowohl die zeitliche Begrenzung... als auch die inhaltliche Kontrolle". Der Zugang zu jugendgefährdenden Inhalten über YouTube könne schädliche Wirkungen haben, gleiches gelte hinsichtlich für die aktuelle Altersgruppe nicht freigegebener Spiele mit "verstörenden, schädigenden Inhalten" oder die Verwendung von WhatsApp, bei denen die Kinder oder Jugendlichen als Sender und Empfänger "gewünschter oder unerwünschter Nachrichten betroffen sein" könnten.


    Äußerst fraglich sei jedoch, ob generell eine Schädlichkeit angenommen werden könne, wenn Kindern die Möglichkeit eröffnet werde, Medien in dieser Weise zu nutzen. Die Schädigungsformen seien vielmehr mit anderen Gefahren etwa durch ausgedehnte Fernsehzeiten oder auch eine ausschließliche Ernährung von Junkfood vergleichbar. Zusammenfassend stellt das OLG deshalb fest: "Allein der Besitz eines Smartphones, Tabletts, Computers oder Fernsehers mit oder ohne Internetzugang rechtfertigt ... nicht die Annahme, dass Eltern durch die Eröffnung eines Zugangs ihr Kind schädigen. Dazu müssen im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte hinzutreten, aus denen sich die konkrete Gefahr einer Schädigung ergeben."


    Die Nutzung digitaler Medien müsse zum Schutz von Minderjährigen gegebenenfalls pädagogisch begleitet werden. Hierbei ergäben sich jedoch individuelle Spielräume, die - solange keine konkrete Kindeswohlgefährdung vorliege - innerhalb der jeweiligen Familien eigenverantwortlich festgelegt werden können. Es gelte insoweit auch für die Familiengerichte der Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Eingreifens.


    Der Beschluss ist nicht anfechtbar.


     


    Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.06.2018 - 2 UF 41/18

  • Das Jugendamt und seine Rolle im familiengerichtlichen Verfahren

    Seit Inkrafttreten des KJHG im Jahr 1991 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf Beratung in Fragen von Trennung und Scheidung gegenüber dem örtlich zuständigen Jugendamt (§§ 17,18 Sozialgesetzbuch VIII). 

    Das Jugendamt kann diese Beratungstätigkeit jedoch auf anerkannte Beratungsstellen delegieren, was in Aachen in der Regel so gehandhabt wird. In hochstrittigen Fällen arbeiten Jugendamt und Beratungsstelle auch schonmal als Team.

    Die Zuständigkeit des Jugendamtes richtet sich nach der Straße, in der das Kind lebt - Aachen ist in sogenannte Sozialräume eingeteilt. Ein Mitarbeiter des Sozialraumteams ist dann der Ansprechpartner.

    Reichen Eltern die Ehescheidung oder einen Wohnungszuweisungsantrag ein und haben minderjährige Kinder, wird das Jugendamt automatisch durch das Gericht informiert. Nur wenn aber die elterliche Sorge oder der Umgang streitig werden, wird das Jugendamt tätig in Form eines schriftlichen oder mündlichen Berichts für das Familiengericht.

  • Mitarbeiter beim Jugendamt ablehnen

    Bis zum Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 27.07.2010, 4 UF 96/19 (Vorinstanz: AG Eschweiler) hatten sich Eltern gegen die zuständige Sachbearbeiterin des Jugendamtes gewehrt - erfolglos.


    Aus den Gründen:

    Die Beschwerde der Antragsgegner, der Eltern der betroffenen Kinder, ist nicht zulässig. Denn sie sind durch den angefochtenen Beschluss nicht beschwert.

    Dieser Beschluss ist ausdrücklich in Übereinstimmung mit den Antragsgegnern ergangen, d.h. die Eltern sind mit der Übertragung des Sorgerechts in den Bereichen

    • Aufenthaltsbestimmungsrecht

    • behördliche Angelegenheiten

    • Gesundheitsfürsorge

    • Recht zur Beantragung von Hilfe zu Erziehung

    auf das Jugendamt T. einverstanden gewesen.

    Auch mit ihrer Beschwerde haben sie sich nicht gegen diesen Ausspruch des Amtsgerichts verwehrt.


    Soweit sie sich dagegen wenden, dass Frau C. vom Jugendamt T. die Sache betreut, kann dies keine Beschwer begründen. Denn der Beschluss befasst sich nur mit der Übertragung des Sorgerechts auf das Jugendamt T., was die Eltern nicht anfechten wollen. Welche Person mit der Betreuung der Sache beim Jugendamt betraut wird, ist nicht Gegenstand des angefochtenen Beschlusses, sondern allein Sache des Jugendamts.


    Sollte bei Hilfeplangesprächen u.a. auch Frau C. beteiligt sein, haben die Eltern dies hinzunehmen, zumal noch etliche andere Personen beteiligt sind, so dass auch eine gewisse Kontrolle gewährleistet ist.

  • Was kostet mich anwaltliche Beratung?

    Als Maßstab für Ihre gesetzlichen Kosten gibt es sog. "Gegenstandswerte". Für Kindschaftssachen sind die gesetzlich nicht hoch, was dazu führt, dass der wirtschaftlich denkende Anwalt nicht viel Zeit in Ihren Fall investieren kann. So wird man aber der Familie nicht gerecht. Man muss viel über den Sachverhalt, die Motive und die Bedürfnisse reden - und wenn der Fall dynamisch ist, entsteht auch dauernd neuer Besprechungsbedarf. Ich rechne daher zur beiderseitigen Klarheit ausschließlich nach meiner aufgewendeten Zeit ab. Sie schließen mit mir eine Honorarverbeinbarung. So können Sie selbst beeinflussen, wie viel meiner Zeit Sie benötigen und wie viel ich Sie koste.

  • Kann das Kind mit 14 selbst entscheiden?

    Nein. Mit 18 ist man volljährig und entscheidet selbst, das ist auch im Familienrecht nicht anders. Dennoch hält sich dieses Gerücht hartnäckig. Warum? Weil die Altersgrenze 14 ausdrücklich im Gesetz vorkommt, s.o..Selbst beim Jugendamt wird diese falsche Behauptung oft genug verkauft!


    In der Praxis werden aber eben auch viel jüngere Kinder am Verfahren beteiligt oder gehört. Das, was sie zu sagen haben, wird je nach ihrem persönlichen Reifegrad berücksichtigt - nicht nach der festen Altersgrenze. Daher kann es auch vorkommen, dass ein Richter gegen den geäußerten Willen eines über-14-Jährigen entscheidet. Oder sich nach dem richtet, was ein 10-Jähriger sagt.


    In einem Fall des Kammergerichts Berlin (13 UF 189/09) ging es um einen 16-Jährigen, der zwar seinen Vater sehen wollte, aber sich nicht ein ein alle-zwei-Wochen-Umgangsschema pressen lassen wollte. Er wollte selbst über Ort und Zeit eines Umgangs (mit-)bestimmen. Das KG befand, dass dies zu berücksichtigen ist - und eben nicht der Umgang mit dem Vater gerichtlich zu bestimmen ist. Dies käme dem Absprechen der freien Willensbildung bei dem 16-Jährigen gleich.


    Anders herum: In einem Brandenburger Fall entschied das Gericht gegen den erklärten Willen eines Fast-15-Jährigen.


    Der Fall:

    Der 14jährige G. spricht sich in seiner Anhörung gegen vom Vater gewünschte feste Besuchskontakte mit Übernachtungen aus. Die Mutter meint, G. wünsche keine festen Umgangstermine. Er sei durch die „Brechung seines Willens" psychisch stark belastet, seine positive Entwicklung werde gestört, sein Leistungsvermögen eingeschränkt. Er lehne es insbesondere ab, beim Vater zu übernachten.

    Trotzdem ordnet das AG das vom Vater gewünschte Besuchsrecht an.

    Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das OLG die Entscheidung des Familiengerichts, den Umgang wie beantragt anzuordnen, bestätigt.

    Aus den Gründen:

    Der Umgang an den Wochenenden ist auch mit einer Übernachtung von Samstag zu Sonntag anzuordnen. Ein Kind in Gs Alter ist ohne weiteres in der Lage, zwei Nächte im Monat außerhalb des mütterlichen Haushalts zu verbringen. Auch die Mutter hat bei ihrer Anhörung durch den Senat keine sachlichen Gründe genannt, die dagegen sprächen, sie hat nach eigenen Angaben auch keine Angst (mehr), wenn G. beim Vater ist. Sonstige Gründe, die der Anordnung einer Übernachtung entgegenstehen, liegen nicht vor.

    Der von G. insoweit geäußerten Ablehnung kommt kein entscheidungserhebliches Gewicht zu. G. hat sich zwar wiederholt, auch gegenüber der Verfahrenspflegerin, dahin geäußert, nicht beim Vater übernachten zu wollen. Diese Äußerungen nimmt der Senat ernst, er würdigt sie aber auch vor dem Hintergrund, dass sich in ihnen, wie der Sachverständige im Senatstermin unter Bezugnahme auf sein schriftliches Gutachten erläutert hat, die mütterliche Haltung ausdrückt. G. ist nach Ansicht des Sachverständigen so befangen, dass er den Gedanken, von sich aus zum Vater zu gehen, nicht zulassen kann. Bei der Mutter schwinge, so der Sachverständige, stets eine Abwehr mit, selbst wenn sie ihrem Sohn sage, er dürfe zum Vater gehen.

    Die Äußerungen von G. geben also keinen autonomen Willen wieder und beruhen im Übrigen nicht auf subjektiv verständlichen Beweggründen. Diese Einschätzung belegen auch die Briefe, die der jetzt fast 15 Jahre alte G. dem Senat geschrieben hat. Sie tragen erkennbar, wie auch der Sachverständigen ausgeführt hat, die Handschrift der Mutter, die selbst bei ihrer Anhörung durch den Senat eingeräumt hat, G. zum Schreiben der Briefe angeregt zu haben. Nur G. selbst hat dem Senat gegenüber behauptet, die Briefe von sich aus verfasst zu haben. Dies zeigt, wie sehr G. von seiner Mutter abhängig ist und seine Äußerungen im Wesentlichen auf ihren Vorgaben beruhen. Angesichts dessen kann die Entscheidung nicht auf den geäußerten Willen von G. gestützt werden. Es liegt vielmehr in seinem wohlverstandenen Interesse, dass er seinen Vater regelmäßig besucht und dort auch übernachtet. Denn dadurch erhalten Vater und Sohn die Möglichkeit, nicht nur einige Stunden ohne Einflussnahme Dritter miteinander umzugehen, sondern es wird auch mehr Raum für eine Wochenendgestaltung, die sowohl die Erledigung der Hausaufgaben als auch gemeinsame Unternehmungen ermöglicht, geschaffen. Möglicherweise kann sich G. dann auch dazu entschließen, die Gutscheine des Vaters zum Besuch von abendlichen Veranstaltungen einzulösen und gewinnt Abstand von der einem Jungen in seinem Alter nicht entsprechenden Einstellung, dass Abende nur dann gemütlich seien, wenn man sie vor dem Fernseher verbringe.

    OLG Brandenburg - 20.05.10 - 10 UF 56/09

  • Hilfe, mein Kind wird im Familiengericht angehört!

    Die persönliche Anhörung des Kindes in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren ist im Bezirk des OLG Köln ab Kindergartenalter die Regel. Manche Richter machen einen ersten Anhörungstermin noch ohne Kind, um zunächst eine Einigung der Eltern zu versuchen. Scheitert dies, muss das Kind geladen werden, wenn es über 14 ist oder der persönliche Eindruck vom Kind dem Gericht bei der Entscheidungsfindung helfen kann.


    Gesetzliche Grundlage ist § 159 FamFG:


    (1) Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat. Betrifft das Verfahren ausschließlich das Vermögen des Kindes, kann von einer persönlichen Anhörung abgesehen werden, wenn eine solche nach der Art der Angelegenheit nicht angezeigt ist.


    (2) Hat das Kind das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist es persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist.


    (3) Von einer persönlichen Anhörung nach Absatz 1 oder Absatz 2 darf das Gericht aus schwerwiegenden Gründen absehen. Unterbleibt eine Anhörung allein wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen.


    (4) Das Kind soll über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. Ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Hat das Gericht dem Kind nach § 158 einen Verfahrensbeistand bestellt, soll die persönliche Anhörung in dessen Anwesenheit stattfinden. Im Übrigen steht die Gestaltung der persönlichen Anhörung im Ermessen des Gerichts.


    "Ermessen des Gerichts" bedeutet also, dass jeder Richter die Anhörung so gestaltet, wie er es für richtig hält und wie er es kann.

  • Was fragt der Richter mein Kind?

    Das hängt vom Alter des Kindes, vom Streitstoff und vom Richter ab. Je jünger das Kind ist, desto mehr geht es "bloß" um einen persönlichen Eindruck vom Kind und die Frage nach seinem Alltag, seinen allgemeinen Neigungen und Bindungen zu den Eltern. Dem eigentlichen Thema wird ein Richter sich nur so nähern, dass dem Kind nicht suggeriert wird, ihm werde jetzt die Verantwortung für die Entscheidung des Streites der Eltern aufgebürdet. Ältere Kinder werden konkreter nach ihren Wünschen betreffend Umgang und elterliche Sorge gefragt. Die Befragung dauert vielleicht 10 Minuten, aber auch viel länger, wenn das Kind viel zu sagen hat.

  • Kann ich mein Kind auf die Anhörung vorbereiten?

    Ja, wenn Sie unter "vorbereiten" bitte nicht verstehen, dem Kind vorzugeben, was es sagen solle. Wenn Sie den Eindruck haben, dass die Anhörung eine große Belastung für ihn Kind sein wird, sagen Sie Ihrem Kind erst wenige Tage vor dem Termin, dass dieser stattfindet. Stellen Sie die Befragung als normal dar. Machen Sie Ihrem Kind klar, daß es nichts im Streit der Eltern zu entscheiden hat, sondern nur Gelegenheit bekommt, seine Meinung sagen zu dürfen. Sie können erklären, dass es das gute Recht eines Kindes ist, dass der Richter nicht wie über eine Sache, einen Gegenstand entscheidet, ohne das Kind je kennengelernt zu haben. Manchmal ist es für ein Kind, das dem Termin mit Anspannung entgegensieht, hilfreich, vorher das Gerichtsgebäude besuchen zu können. Dagegen bestehen keine Einwände. Für viele Kinder ist die Anhörung nicht so furchtbar wie die Eltern befürchten, manche fühlen sich gar entlastet, ihren Ballast an Verantwortung für die elterlichen Konflikte an eine professionellen Konflikt-Beender abgeben zu dürfen. Studieren Sie keinesfalls mit dem Kind bestimmte Aussagen ein; wenn das auffällt, wirft dies ein schlechtes Licht auf Ihr Anliegen.

  • Entscheidet das Kind in der Anhörung über das Ergebnis des Verfahrens?

    Nein. Zum Entscheiden ist der Richter da. Aber: Der vom Kind geäußerte Wille hat natürlich Gewicht für die Entscheidung des Richters. Wie viel Gewicht - das kommt drauf an.


    Kindeswohl und Kindeswille sind nicht Gegenbegriffe – der Kindeswille ist vielmehr ein Baustein der Defintion des Kindeswohles und hat daher auch seinen Platz im Gesetz: § 159 Abs. 2 FamFG, s.o..


    Will das Kind etwas deutlich nicht (z.B. betreffend Kontakt zu einem Elternteil, einen bestimmten Lebensmittelpunkt etc.), so wird in der Regel geprüft:


    Handelt es sich um einen autonomen stabilen Willen?

    Wurde die Willensbildung von außen beeinflusst, gesteuert, induziert (offen oder verdeckt, bis hin zum Parental Alienation Syndrom PAS)?

     

    Auch wenn es sich um einen autonomen Willen handelt, kann es dennoch vertretbar sein, gegen den geäußerten Willen des Kindes zu entscheiden. Eltern tun dies alltäglich, wenn sie Fernsehkonsum regulieren oder den Schulbesuch als zwingend erklären. Zur Entwicklung gehört es, eine gewisse Frustrationstoleranz zu entwickeln und zu erleben, dass die Erwachsenen nicht jeden vom Kind geäußerten Wunsch und nicht jeden mit Nachdruck vorgebrachten Willen berücksichtigen wollen oder können. Das objektive Kindeswohl setzt da Grenzen.


    Umgekehrt gilt aber: Auch wenn es sich nachweislich um einen Willen handelt, den das Kind durch negative Beeinflussung gebildet hat, kann es vertretbar sein, den Willen zu berücksichtigen. Denn wenn das Kind inzwischen den fremden Willen zu seinem eigenen gemacht hat und davon keine innere Distanz aufbauen kann, kann das Kind selbst sich erheblich übergangen fühlen, wenn der Richter ausdrücklich gegen die eigenen Äußerungen entscheidet.


    Wer nämlich über einen geäußerten Willen hinweggeht, muss sich über die Folgen Gedanken machen:


    Wie würde der Zwang faktisch umgesetzt? Würde das Kind sich körperlich wehren? Würde das Kind somatisieren, d.h. aus psychischem Druck körperlich erkranken? Würde der Zwang das Kind traumatisieren? Oder, die Alternative: Würde das Kind in der erzwungenen Situation einsehen, dass dies zu seinem eigenen Wohl geschah?


    Eine Langzeitstudie von Wallerstein & Lewis aus dem Jahr 2001 ergab, dass erzwungene Kontakte meist die Beziehungen des Kindes mit dem den Umgang begehrenden Elternteil nicht verbessern oder stabilisieren.


    Die Frage, ob eine richterliche Entscheidung gegen die eindeutige Willensäußerung eines Kindes ausfallen kann, muss im Zweifel mithilfe von Verfahrensbeistand und Gutachter geklärt werden. Handelt es sich um ein sogenanntes lösungsorientiertes Gutachten, im Rahmen dessen mit den Beteiligten selbst an den bestehenden Schwierigkeiten gearbeitet wird, können sich Widerstände auch auflösen lassen.

  • Darf des Kindes Wille gebrochen werden?

    Ein konstanter Wille des Kindes ist beachtlich, wenn die Überwindung des Willens seinerseits eine Kindeswohlgefährdung darstellen würde. Sollten das Elternrecht und das Recht des Kindes auf "Schutz vor den Eltern" im konkreten Fall unversöhnlich aufeinander treffen, setzt sich der Schutz des Kindes vor seinen Eltern in der verfassungsgerichtlichen Prüfung durch.

    OLG Hamm 4 UF 186/15, Beschluss vom 6.6.2016

  • Verfahrensbeistand - "Anwalt des Kindes"

    Der Verfahrensbeistand ist der Interessenvertreter der Kinder im familiengerichtlichen Verfahren - sozusagen der Anwalt der Kinder, auch wenn es sich um einen Sozialpädagogen oder Psychologen handelt. Bis 2009 hieß er Verfahrenspfleger. Er wird durch das Gericht bestellt. Seine Kosten werden von den Eltern über die Gerichtskosten eingefordert (außer bei VKH).

    Alles, was ein Anwalt für die Elternteile tun kann, darf und kann der Verfahrensbeistand ebenso für die Kinder tun - z. B. Anträge stellen, Beschwerde einlegen usw.

    Der Verfahrensbeistand spricht mit den Kindern und soll feststellen, welche Wünsche und Bedürfnisse die Kinder haben. Dementsprechend berichtet er dem Gericht, schriftlich oder mündlich. Inhalt und Auftrag der Verfahrensbeistandschaft sind geregelt in den §§ 158, 167, 174 und 191 FamFG.

  • Wann wird ein Verfahrensbeistand bestellt?

    Ein Verfahrensbeistand kann in sog. Kindschaftssachen bestellt werden. Das sind die Verfahren, denen es um folgende Themen geht:


    • elterliche Sorge (z. B. bei welchem Elternteil das Kind nach der Trennung der Eltern leben soll),
    • Umgangsrecht (ob, wann und wie lange das Kind den Elternteil besucht, bei dem es nicht lebt),
    • Kindesherausgabe (an das Jugendamt, wenn eine Kindeswohlgefährdung vermutet wird),
    • Vormundschaft oder Pflegschaft (wenn in Fällen der Kindeswohlgefährdung nach dem Entzug der elterlichen Sorge ein rechtlicher Vertreter für das Kind bestellt wird),
    • freiheitsentziehende Unterbringung einer/s Minderjährigen.

    Die Bestellung eines Verfahrensbeistands ist in der Regel erforderlich, „wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht".

  • Welche Rechte hat der Verfahrensbeistand?

    Der Verfahrensbeistand nimmt die Rechte des Kindes wahr, ohne an dessen Weisungen gebunden zu sein. Insofern unterscheidet sich seine Aufgabe von der eines Anwalts, der ja verpflichtet ist, den Weisungen seines Mandanten zu folgen oder den Auftrag abzulehnen. Der Verfahrensbeistand muss er auch allen Vergleichen zustimmen oder seine Zustimmung verweigern, wenn dies im Interesse des Kindes geboten ist.

  • Elternrechte im Verfahren

    Eltern haben das Recht zu beantragen, dass ein Verfahrensbeistand bestellt wird. Wird dieser Antrag vom Gericht abgelehnt, obwohl die Kriterien der Erforderlichkeit erfüllt werden, ist dies ein Verfahrensfehler.


    Umgekehrt haben Eltern allerdings nicht das Recht, die Bestellung eines Verfahrensbeistandes abzulehnen.


    Von den Eltern wird erwartet, dass sie mit dem Verfahrensbeistand kooperieren. Üblich ist ein Hausbesuch bei dem Kind, evtl. auch bei jedem Elternteil.

  • Aufgaben des Verfahrensbeistandes

    Das Gericht hat zwei verschiedene Möglichkeiten der Beauftragung:

    „Kleine Verfahrensbeistandschaft" nach § 158 Abs. 4 Satz 2 FamFG: Der Verfahrensbeistand hat das Interesse des Kindes festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Als „Interessen des Kindes“ sind dessen subjektiven Interessen = der Wille des Kindes und seine objektiven Interessen = Kindeswohl zu werten. Der Verfahrensbeistand hat das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren.

    „Große Verfahrensbeistandschaft" nach § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG: Zusätzlich hat der Verfahrensbestand die Aufgabe, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen sowie am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken.

    Im Beschluss führt das Gericht aus, welche dieser Aufgaben übertragen werden.

  • Mindestanforderungen an Gutachten in Kindeswohlverfahren

    2. Auflage 2019 der „Mindestanforderungen an Gutachten im Kindschaftsrecht“


    Arbeitsgemeinschaft Familienrechtliche Gutachten hat die Mindestanforderungen von 2015 überarbeitet und Qualitätsstandards erweitert


    Die Arbeitsgruppe "Familienrechtliche Gutachten" hat die "Mindestanforderungen an Gutachten im Kindschaftsrecht" überarbeitet. In der neuen Auflage wurden die Qualitätsstandards ausgebaut und an die aktuelle Gesetzeslage angepasst. Das sind vor allem Ergänzungen zum Thema Beweisbeschluss im Verfahrensrecht. Zudem wurde das Dokument um Mindestanforderungen an Gutachten mit Hinwirken auf Einvernehmen, § 163 Abs. 2 FamFG, ergänzt. Bei der Überarbeitung der Mindestanforderungen waren auch die Landesjustizministerien, der Bundesgerichtshof und sozialpädagogische Verbände in den Prozess eingebunden. Damit basiert die überarbeitete Auflage auf einem breiten Konsens.           

        

    Pressemitteilung der Bundesrechtsanwaltskammer:

    Mit der 2. Auflage der „Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht“ hat eine Expertengruppe die Entwicklungen und Erfahrungen der letzten vier Jahre aufgegriffen und nicht nur die Qualitätsstandards ausgebaut, sondern auch Anpassungen an die aktuelle Gesetzeslage vorgenommen.


    Die neue Auflage enthält Ergänzungen zum Thema Beweisbeschluss im Verfahrensrecht und wurde um Mindestanforderungen an Gutachten mit Hinwirken auf Einvernehmen, § 163 Abs. 2 FamFG, ergänzt.


    Die Empfehlungen wurden von Vertreterinnen und Vertretern juristischer, psychologischer, medizinischer und sozialpädagogischer Fachverbände, der Bundesrechtsanwalts- und der Bundespsychotherapeutenkammer erarbeitet. Der Prozess wurde fachlich begleitet durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und unterstützt durch den XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes. Die Landesjustizministerien waren eingebunden und wirkten – zum Teil – fachlich begleitend mit. Damit basiert die überarbeitete Auflage auf einem noch breiteren Konsens als die Erstauflage.


    In der Vergangenheit ist die Diskussion um die Qualität forensischer Gutachten durch einige umstrittene Urteile in den Fokus der medialen und politischen Öffentlichkeit gerückt. Daher haben Vertreterinnen und Vertreter aus Fachverbänden und Kammern unter Begleitung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz 2015 die ersten fachübergreifenden Qualitätsstandards für Gutachten im Familienrecht erarbeitet. Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien vereinbart, den begonnenen Qualitätssicherungsprozess in Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden verbindlich auszubauen. Die nun veröffentlichte überarbeitete Auflage der Mindeststandards ist das Ergebnis eines fortlaufenden Prozesses.


    Hintergrundinformationen


    An dem Projekt waren zur Bündelung von Kompetenzen und Erfahrungen fachübergreifend zahlreiche Fachverbände und Kammern beteiligt: Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BAG KJPP), Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP), Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Berufsverband für Beratung, Pädagogik & Psychotherapie (BVPPT), Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Deutscher Anwaltverein (DAV), Der Deutsche Familiengerichtstag (DFGT), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF), Deutscher Juristinnenbund (djb), Deutscher Richterbund (DRB), Fachverband Systemisch-Lösungsorientierter Sachverständiger im Familienrecht (FSLS), Neue Richtervereinigung (NRV), Institut für Soziale Arbeit (ISA) und die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht.


     

  • Psychologische Gutachten: Begleitperson oder Tonaufzeichnung erlaubt

    Ein aufgrund einer gerichtlichen Anordnung medizinisch oder psychologisch zu begutachtender Verfahrensbeteiligter hat das Recht, eine Begleitperson zu einem Untersuchungstermin bzw. einem Explorationsgespräch des Sachverständigen mitzubringen. Die Begleitperson darf sich allerdings nicht äußern oder sonst am Verfahren beteiligen. So hat das OLG Hamm entschieden.


    In einem Umgangsverfahren sollte der Kindesvater durch eine Psychologin begutachtet werden. Der Kindesvater kannte die Sachverständige schon aus dem vorangegangenen Verfahren und wollte sie wegen Befangenheit ablehnen. Das misslang ihm.


    Dann wollte er gern das Gespräch aufzeichnen oder eine Begleitperson als Zeugen mitbringen. Beides verwehrte ihm die Sachverständige.


    Darauf lehnte er sie wieder wegen Befangenheit ab. Das OLG Hamm traf eine salomonische Entscheidung: zwar gebe es aus Gesetz oder Rechtsprechung  keinen Rechtsanspruch auf Tonaufzeichnung oder Begleitperson – und deshalb sei das Verhalten der Sachverständigen kein Befangenheitsgrund.


    Zugleich hat das OLG Hamm die Sachverständige angewiesen, bei ihren Gesprächen mit dem Kindesvater einen Zeugen oder eine Tonaufzeichnung zuzulassen.


    Andernfalls habe ein zu Begutachtender, so der Senat, keine Möglichkeit, gegenüber Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Behaupte er nach dem Vorliegen des schriftlichen Gutachtens ein in diesem in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend dargestelltes Explorationsgespräch, werde sich der Sachverständige in der Regel auf die Richtigkeit seiner Aufzeichnungen berufen.


    Wenn dann nicht ausnahmsweise objektive Umstände deren Unrichtigkeit belegen würden, habe der Beteiligte ohne das Hinzuziehen einer später als Zeuge zur Verfügung stehenden Begleitperson keine Möglichkeit, die von ihm behauptete Unrichtigkeit zu beweisen.


    Gegenüber diesem wesentlichen Verfahrensgesichtspunkt müsse die Besorgnis einer etwaigen Beeinflussung des Untersuchungsgangs durch die bloße Anwesenheit einer Begleitperson hingenommen werden. Eine etwaige Beeinflussung könne der gerichtliche Sachverständige zudem in seinem Gutachten thematisieren, so dass das Gericht diesen Umstand bei seiner Entscheidung würdigen könne.


    Der Begleitperson sei allerdings eine Beteiligung am Untersuchungsgespräch durch Fragen, Vorhalte oder sonstige Äußerungen nicht zu gestatten, andernfalls wäre eine Störung oder Beeinflussung der medizinischen oder psychologischen Begutachtung zu befürchten.


    OLG Hamm, Beschl. v. 02.02.2015 - 14 UF 135/14

  • Qualifikation eines Gutachters

    Welche Qualifikationen muss ein familienpsychologischer Gutachter haben? Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass das Familiengericht in Verfahren wegen möglicher Kindeswohlgefährdung eine ausreichende Qualifikation für die Erstellung psychologischer Gutachten sicherstellen muss. Bei der Trennung von Säugling und Mutter muss unter Umständen ein Psychologe oder Facharzt bestellt werden.


    Der Fall

    Die im September 2018 geborene Tochter wurde kurz nach der Geburt vom Jugendamt in Obhut genommen und einer Pflegefamilie übergeben. Bereits im Mai 2018 war das vorliegende Verfahren aufgrund einer Gefährdungsanzeige eingeleitet worden und zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Eltern die Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens angeordnet worden. Die Gutachterin führte zu ihrer Qualifikation aus, sie sei Diplom-Sozialpädagogin mit einer Ausbildung als Sachverständige beim Institut für Lösungsorientierte Arbeit in Bielefeld.



    Wesentliche Aussagen der Entscheidung

    Die erfolgreiche Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht.


    Das bereits vorgeburtlich eingeleitete Gerichtsverfahren leidet an einem wesentlichen Mangel: Für eine Entscheidung waren aufwändige Ermittlungen, u.U. auch durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, erforderlich (§ 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG). Unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz wurden die den Beschluss begründenden Tatsachen nicht hinreichend zuverlässig aufgeklärt.


    Das FamG hat sich dem Gutachten und dem Vortrag vorbehaltlos ohne kritisches Hinterfragen der fachlichen Qualifikation der Sachverständigen angeschlossen. Angeordnet war ein psychologisches Gutachten; die bestellte Sachverständige ist Diplom-Sozialpädagogin und lediglich „als Sachverständige ausgebildet“.


    Die Zusatzqualifikation für die Erstattung psychologischer Gutachten in Kindeswohlgefährdungsverfahren wurde nicht bewertet. Gerade im Falle des § 163 Abs. 1 Satz 2 FamFG wird zusätzlich die entsprechend erworbene Berufserfahrung vorausgesetzt. Ein Hinterfragen der Qualifikation der Sachverständigen wäre hier umso notwendiger gewesen.


    Denn psychologische Gutachten treffen Aussagen zu Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit einer Schädigung des Kindes aufgrund eingeschränkter Erziehungsfähigkeit der Eltern anhand von psychologischen Kenntnissen, basierend auf psychologischer Diagnostik, Methodenlehre und Analyse.


    Vorliegend kommt hinzu, dass der denkbar schärfste Eingriff in das Elternrecht der Mutter in Rede steht - Wegnahme eines Neugeborenen - und die Mutter 2011 wegen des Verdachts einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis psychiatrisch (teil-)stationär behandelt wurde. Der stärkste Eingriff in das Elternrecht muss in Gegenüberstellung zur Erziehungsfähigkeit der Mutter durch einen erfahrenen Gutachter bewertet werden, der Diplom-Psychologe oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist.


    Eine - jedenfalls die Fortdauer der Fremdunterbringung des Kindes verfassungsrechtlich rechtfertigende - Kindeswohlgefährdung wird nicht indirekt durch die von der Sachverständigen erhobenen Anschlusstatsachen oder davon unabhängig mittels vom Familiengericht festgestellter Tatsachen belegt. Dies gilt nach dem sich nunmehr darbietenden Erkenntnisstand umso mehr, als der Mutter jetzt vom Jugendamt doch ermöglicht wurde, mit dem Kind eine entsprechende Einrichtung zu beziehen.


    Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als die Sachverständige - was somit auch gegen ihre ausreichende fachliche Qualifikation spricht - im Termin ausdrücklich die Alternative einer gemeinsamen Unterbringung verworfen hat, weil dieses auf jüngere Mütter ausgerichtet sei, die noch unsicher im Umgang mit dem Kind seien.


     


    Folgerungen aus der Entscheidung

    Im Rahmen des angeforderten Gutachtens sind Aussagen zu Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit einer Schädigung des Kindes aufgrund eingeschränkter Erziehungsfähigkeit der Eltern zu beurteilen, da es sich um den schwersten Eingriff in das Elternrecht handelt. Das Gericht hat die Pflicht, die Qualifikation des Sachverständigen zu prüfen. Ein erfahrener Sachverständiger, der Diplom-Psychologe oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist, muss die Erziehungsfähigkeit der Mutter begutachten.


    Der Senat weist insbesondere darauf hin, dass die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind in einer entsprechenden Einrichtung selbst dann fortzuführen ist, wenn die Fortschritte der Mutter nicht zufriedenstellend sind; sie also aus Sicht der Einrichtung und/oder des Jugendamts nicht ausreichend an sich arbeite und deren Geduld strapaziere, solange die Mutter die Grundregeln der Einrichtung beachtet.


    Wenn und solange diese Unterbringungsform zur Abwendung der hier vordringlichen Kindeswohlgefährdung noch ausreichend geeignet ist, kann sie nicht zugunsten einer intensiver in das Elternrecht der Mutter eingreifenden Hilfeform eingestellt werden.


    OLG Saarbrücken, Beschl. v. 16.10.2018 – 6 UF 112/18

  • SV-Gutachten zum Kindeswohl: was kann das kosten?

    Familienpsychologische Begutachtung in Kindschaftssachen kostet über 13.000 €.

    Problem: Anders als in sonstigen Zivilsachen muss das Familiengericht keinen Kostenvorschuss anfordern – daher bleibt es den Eltern – bis zum Schluss die rechnung kommt – unklar, was da auf sie zukommt.

    In einem Fall vor dem OLG Nürnberg wollte ein Beteiligter die Rechnung in Höhe von über 13.000 € nicht bezahlen,  wandte sich gegen den Ansatz der Sachverständigenkosten, berief sich auf §§ 407a, 404a ZPO und rügte, der Sachverständige habe ihn zu keiner Zeit über die Höhe der zu erwartenden Kosten informiert.

    Der Sachverständige hatte eine Vergütung von 9.891,67 € für den Zeitaufwand, 283,95 € insbesondere für Schreibauslagen (269.000 Zeichen) und Kopierkosten sowie 1.933,37 € an Umsatzsteuer mit insgesamt 12.108,99 € in Rechnung gestellt. Für weitere Stellungnahmen und die mündliche Erörterung des Gutachtens wurden nochmals 476,00 €, 297,50 € und 476,00 € geltend gemacht. 

    Das Rechtsmittel dagegen blieb erfolglos. Die Einwendungen seien nicht geeignet, eine Niederschlagung der Kosten nach § 20 FamGKG zu begründen oder den Entschädigungsanspruch des Sachverständigen nach den §§ 8 ff. JVEG herabzusetzen. Die Kostenrechnung sei sachlich und rechnerisch richtig. Ein schuldhafter Verstoß des Sachverständigen gegen seine Pflichten sei nicht erkennbar.

    Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 JVEG erhält der Sachverständige neben dem Ersatz von Fahrtkosten und der Entschädigung für sonstigen Aufwand (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 JVEG) für seine Leistung ein Honorar, das nach Stundensätzen zu bemessen ist – hier nach der Honorargruppe M3 mit einem Stundensatz von 100 €.

    Die erforderliche Zeit i.S.d. § 8 Abs. 2 JVEG ist nach einem abstrakten und objektiven Maßstab zu ermitteln. Zugrunde zu legen ist derjenige Zeitaufwand, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen braucht, um sich nach sorgfältigem Aktenstudium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehenden Überlegungen seine gutachterliche Stellungnahme zu den ihm gestellten Fragen schriftlich niederzulegen. 

    Dabei sind der Umfang des ihm unterbreiteten Streitstoffs, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang seines Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache angemessen zu berücksichtigen. 

    Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die vom Sachverständigen angegebene Zeit richtig ist und für die Gutachtenerstellung auch erforderlich war. Anlass zur Nachprüfung besteht nur dann, wenn der angesetzte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung außergewöhnlich hoch erscheint.

    Das OLG verweist auf die von den Landessozialgerichten entwickelten Maßstäbe für eine Kontrollberechnung medizinischer Gutachten. Auch die Rüge der fehlenden Information durch den Sachverständigen (§ 30 Abs. 1 FamFG in Verb. mit § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO) lässt das OLG mit ausführlicher Begründung nicht durchgreifen.


  • Umgangsvereinbarung ist zuzustellen

    Die nach § 87 Abs. 2 FamFG erforderliche Zustellung einer gerichtlich gebilligten Umgangsvereinbarung im Ordnungsmittelverfahren ist nur dann wirksam, wenn sie im Amtsbetrieb durch das Familiengericht erfolgt. Eine Zustellung lediglich im Beteiligtenbetrieb (Parteibetrieb) ist nicht ausreichend.


    Gemäß § 87 Abs. 2 FamFG darf die Vollstreckung nur beginnen, wenn der Beschluss bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt ist. Die Vorschrift des § 87 Abs. 2 FamFG beschränkt ihrem Wortlaut nach das Zustellungserfordernis zwar nur auf Beschlüsse, so dass vertreten wird, dass die Vorschrift des § 87 Abs. 2 FamFG über dessen Wortlaut hinaus dahingehend auszulegen ist, dass nicht nur Beschlüsse, sondern auch weitere Vollstreckungstitel wie gerichtlich gebilligte Vergleiche zum Umgang nach § 86 Abs. 1 Nr. 2 FamFG i.V.m. § 156 Abs. 2 FamFG der Zustellung vor der Vollstreckung bedürfen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 16.12.2016, 15 WF 22/16, juris Rdn. 6; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.11.2011, 5 WF 151/11; juris Rdn. 5; Giers in Keidel, FamFG, 19. Aufl, 2017, § 87 Rdn. 12; Feskorn in Zöller, ZPO, 32. Aufl., 2018, § 87 FamFG, Rdn. 4; Hammer in Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl., 2018, § 87 Rdn. 9). Einer solchen, über den Wortlaut hinausgehende Auslegung bedarf es aber nur dann, wenn nicht der gerichtliche Billigungsbeschluss, der den Vergleich erst vollstreckbar macht, sondern auch der Vergleich selbst als Vollstreckungstitel betrachtet wird. Vollstreckungstitel wird die einvernehmliche Regelung über den Umgang erst dann, wenn das Gericht diese durch Beschluss billigt (vgl. § 156 Abs. 2 FamFG). Mithin ist jedenfalls der Beschluss über die gerichtliche Billigung zuzustellen. Da die Vollstreckung aber auch einen Vergleich voraussetzt, ist nicht nur der Billigungsbeschluss sowie der hierin in Bezug genommene Vergleich zuzustellen. § 87 Abs. 2 FamFG ist dahingehend auszulegen, dass er der Zustellung sowohl des Billigungsbeschlusses als auch des Vergleichs bedarf. Die Zustellung hat eine Warnfunktion und bietet dem Vollstreckungsschuldner gleichzeitig rechtliches Gehör im Vollstreckungsverfahren (vgl. Giers in Keidel, FamFG, aaO, § 87 Rdn. 11).


    OLG Oldenburg: Beschluss vom 10.8.2018 11 WF 104/18

Download: Mindestanforderungen an Kindschafts-Gutachten

KiMiss: wissenschaftliche Auswertung der Lebenssituation
Ihrer Kinder nach der Trennung

Das KiMiss-Projekt  der Universität Tübingen - Klinische Psychologie und Psychotherapie - untersucht seit 2012 die Frage, in welchem Ausmaß konfliktreiche Elterntrennung zu einer Sorgerechtsproblematik, oder zu Problemen wie Eltern-Kind-Entfremdung oder Sorgerechtsmissbrauch führt.

Der Begriff KiMiss ist eine Wortschöpfung aus den Begriffen KindesMisshandlung oder KindesMissbrauch und wurde ursprünglich als Name für ein Forschungsprojekt gewählt, das den Begriff Kindeswohl unter hochstrittiger Scheidung oder Elterntrennung untersuchte (KiMiss-Projekt der Universität Tübingen). Hochstrittige Elterntrennungen können im Extremfall Formen von Kindesmisshandlung oder Kindesmissbrauch nach sich ziehen. Oft werden in diesem Zusammenhang Begriffe wie 'emotionaler Kindesmissbrauch' oder 'psychische Kindesmisshandlung' gebraucht. Der gemeinsame Nenner dieser Problematik ist, dass es nicht erst körperliche oder sexuelle Gewalt braucht, um Misshandlung oder Missbrauch zu erzeugen. Ein Begriff, der in Deutschland seit langem Kontroversen erzeugt ist in diesem Zusammenhang der Begriff 'Kindeswohlgefährdung'.

Viele solcher Begrifflichkeiten verwenden ja/nein-Konzepte (z. B. liegt vor / liegt nicht vor), obwohl dies kein geeigneter Ansatz ist, weil sich die Natur des Problems auf einem Kontinuum von Ausprägungen bewegt. Elternkonflikte können ein sehr breites Spektrum ausfüllen und sich von 'eher schwach' bis hin zu 'sehr schwerwiegend' ausprägen. Dies betrifft auch die möglichen Folgen solcher Elternkonflikte, zum Beispiel Eltern-Kind-Entfremdung, Formen der Beeinträchtigung eines Kindes, bis hin zu Formen von Misshandlung und Missbrauch. Ein konzeptioneller Ansatz sollte das Problem also allgemeiner formulieren.

Die KiMiss-Methodik verwendet den Ansatz, dass nicht nur Elternkonflikte durch ein kontinuierliches Maß beschrieben werden müssen, sondern auch die Kindeswohl-abträglichen Folgen. Bei dem Begriff 'Kindeswohl' handelt es sich eigentlich - und dies wurde lange nicht realisiert - um ein Konzept kindlicher Lebensqualität, und diese lässt sich auf einer kontinuierlichen Skala beschreiben, wie es für Lebensqualitätskonzepte üblich ist. Es braucht im Wesentlichen also eine Skala, die in der Lage ist, das Kontinuum von Elternkonflikten abzubilden auf ein Kindeswohl-Maß, das ebenfalls kontinuierlich behandelt wird. Das Ergebnis der methodischen Entwicklungen führte zur Skala eines Verlusts von Kindeswohl, der unter Zuhilfenahme von Lebensqualitäts-Methoden als prozentualer Verlust von Kindeswohl beschrieben wird.

Das Forschungsprojekt hat zur Entwicklung des KiMiss-Instrumentes geführt, das die Belastung von Kindern quantifiziert, die unter konfliktreicher Elterntrennung heranwachsen.
Die Ergebnisse aus 6-jähriger Forschungsarbeit des KiMiss-Projekts wurden zu einem online verfügbaren Instrument zusammengefasst, dem KiMiss-Instrument. Es adressiert Umgangsprobleme, Sorgerechtsmissbrauch, Eltern-Kind-Entfremdung, Gewalt oder Aggression gegen das Kind oder den anderen Elternteil, Kindesentzug, Probleme bei Gericht und Jugendamt, und Probleme aus den Bereichen finanzielle Angelegenheiten, Medizin, Gesundheit oder Erziehungsfähigkeit.

Das Instrument klassifiziert eine Fallkonstellation in die Kategorien Benachteiligung, Beeinträchtigung oder Gefährdung des Kindes und detektiert, wenn eine Form des emotionalen Kindesmissbrauchs oder der psychischen Kindesmisshandlung vorliegt. Das Instrument erlaubt, einen klar strukturierten Befund-Bericht zu erstellen, der dem Jugendamt, einem Gericht, oder Verfahrensbeteiligten vorgelegt werden kann. Der KiMiss-Algorithmus ist ein Verfahren, das erlaubt, den Schweregrad eines feindselig-aggressiven Elternverhaltens durch eine Maßzahl zu beschreiben. Dieser sog. Verlust von Kindeswohl beschreibt die Belastung eines Kindes durch feindselig-aggressives Elternverhalten.

Das KiMiss-Rating-Verfahren stellt für jedes Item der KiMiss-Liste einen Score zur Verfügung, der den Schweregrad eines Elternverhaltens in Form eines prozentualen Verlusts von Kindeswohl beziffert. Sind in einer familiären Fallkonstellation mehrere Items beobachtbar, entsteht die Frage, in welcher Form die Scores der einzelnen Items summiert werden können, um einen Gesamtverlust von Kindeswohl schätzen zu können.

Mithilfe des "Instruments", einer Befragung der Eltern, kann ein Befund zur Vorlage beim Familiengericht in Sorge- und Umgangsverfahren erstellt werden.

Kindesunterhalt
Minderjährige

Für minderjährige Kinder

Scheidung

 Volljährigen-
Unterhalt

Schüler, Azubis, Studenten

Zurück zur Seite "Zoff um Kinder"?
Share by: