Wechselmodell und Unterhalt

"Wechseln" Kinder zwischen beiden Haushalten, so dass beide Eltern sowohl Betreuungsaufwand als auch Fixkosten in erheblich größerem Umfang haben, gibt es verschiedene Berechnungsansätze. Im besten Fall sollte eine Einigung auf das Wechselmodell mit sich bringen, dass die Eltern sich auch über diese Kosten einigen können. Denn ein Wechselmodell lebt davon, dass die Eltern an einem Strang ziehen und lösungsorientiert vorgehen statt gegeneinander. Aber auch für Familien, in denen diese Ideallösung unerreichbar ist, muss man zu einem Rechenergebnis kommen können.


Bezeichnend für die aktuelle Gesetzeslage ist, dass an den Status des hauptbetreuenden Elternteils finanzielle Leistungen geknüpft sind, die Fehlanreize bei der Wahl des Betreuungsmodells setzen können.
Es gilt im Unterhaltsrecht noch das „Alles-oder-nichts-Prinzip“. So macht es für die Liquidität beider Eltern einen erheblichen Unterschied, ob ein Elternteil zu 45 % oder zu 50 % betreut.

Dies könnte eine Erklärung dafür sein, weshalb viele Betreuungsmodelle ausdrücklich unter der 50%-Schwelle bleiben.


Seit den Versprechungen im Koalitionsvertrag im Herbst 2021 wartete die Fachwelt erneut  gespannt auf Lösungsansätze des Gesetzgebers, wie „im Unterhaltsrecht die Betreuungsanteile getrenntlebender Eltern besser zu berücksichtigen seien“. Im August 2023 hat der Bundesjustizminister ein Eckpunktepapier vorgelegt. Stand Januar 2024 ist ein Inkrafttreten noch nicht vorhersagbar.


Bis dahin müssen wir aber mit der systematisch veralteten "Düsseldorfer Tabelle" leben, der ein Rollenbild zugrunde liegt, das zu vielen modernen Familien nicht passt.

zum Gesetzgebungsvorhaben 2023 - Eckpunktepapier

Wie berechnet man den Kindesunterhalt im Wechselmodell?

Aus der nachfolgend dargestellten BGH-Rechtsprechung ergibt sich ein Rechenschema.


Rechenbeispiel Wechselmodell

  • Kind 12 Jahre
  • Kindergeld 250 € – geht an die Mutter, wo das Kind gemeldet ist
  • Bereinigtes Einkommen Vater 2.800 €
  • Bereinigtes Einkommen Mutter 2.000 €


Zur Einkommensermittlung und zur Bereinigung müssen die Leitlinien des OLG angewendet werden, in dessen Bezirk das Kind lebt.

Beim Einkommen sind ggf. auch Wohnvorteil (Eigenheim), geldwerter Vorteil (Dienstwagen), Steuererstattungen, steuerfreie Zuwendungen, Kapitaleinkünfte etc. zu berücksichtigen. Besonders anspruchsvoll ist die Einkommensermittlung Selbständiger. Die Situation der letzten 3-5 Jahre ist eine Prognosebasis, kein mathematischer Automatismus.

Zu prüfen ist, ob fiktive Einkünfte berücksichtigt werden können (Obliegenheitsverstoss).


Bei der Bereinigung sind typische Positionen neben denen aus der Gehaltsabrechnung (Sozialversicherungsbeiträge und Steuern) berufsbedingte Aufwendungen (je nach OLG pauschal oder konkret), Altersvorsorge (gedeckelt auf angemessene Höhe), Kredite (Einzelfallprüfung auf Angemessenheit).


Unterhaltsberechnung in 8 Schritten


  1. Die beiderseitigen bereinigten Nettoeinkommen der Eltern werden addiert – hier also 4.800 €.
  2. Der Blick in die aktuelle Düsseldorfer Tabelle 2023 ergibt des Bedarf des Kindes – hier also Einkommensgruppe 9, Alter 12-17 = 849 €.
  3. Der Bedarf gilt für Kinder im Lebensmittelpunktmodell, evtl. entstehen durch das Wechselmodell Mehrkosten (Zimmer, Fahrtkosten, Doppelanschaffung) – Annahme hier 300 € - ergibt Gesamtbedarf 1.194 €.
  4. Diesen Betrag müssen die Eltern im Verhältnis ihrer Einkünfte aufbringen, allerdings wird nicht die Quote aus 2.800 zu 2.000 gebildet, sondern vorher noch der Selbstbehalt aus der aktuellen Düsseldorfer Tabelle abgezogen.
  5. Vater: 2.800 Euro (Nettoeinkommen) - 1.370 Euro (Selbstbehalt) = 1.430 Euro Einsatzbetrag
    Mutter 2.000 Euro (Nettoeinkommen) - 1.370 Euro (Selbstbehalt) = 630 Euro Einsatzbetrag.
  6. Der Rest ist Mathematik – Dreisatz:
    Die Eltern haften für den Unterhaltsbedarf in Höhe von 1.194 Euro im Verhältnis 1.430 : 630. Mit anderen Worten: der Vater schuldet dem Kind 1.430/2.060 x 1.194 Euro = 829 Euro, die Mutter schuldet dem Kind 630/2.060 x 1.194 Euro = 365 Euro. Einen Teil dieser Beträge erbringen die Eltern ja jeweils in ihrem Haushalt, so dass nur die Hälfte der Differenz auszugleichen ist, also (829 – 365) / 2 = 232 € zu zahlen vom Vater an die Mutter.
    Gerundet ist das ein Verhältnis 70/30.
  7. Jetzt kommt die Aufteilung des Kindergeldes:
    Die erste Hälfte (125 €) wird immer 50/50 geteilt, daraus schuldet die Mutter dem Vater also 62,50 €.
    Die zweite Hälfte (125 €) wird individuell 70/30 (das Ergebnis der obigen Quote) geteilt, daraus schuldet die Mutter also 87,50 €. In Summe sind das also im Beispiel 150 €, die dem Vater aus den 250 € Kindergeld zustehen.
  8. Ergebnis: Von den 232 € Barunterhalt zieht man 150 € Kindergeldanteil ab – der Vater schuldet der Mutter mtl. 82 €.


Hinweis:

Im typischen Lebensmittelpunktmodell müsste der Vater mtl. 552 € zahlen. In seinem Haushalt würden allerdings auch weniger Kosten anfallen, wenn das Kind sich dort seltener aufhält. Sogar wenn der Vater das Kind nie sähe und keine Umgangskosten hätte, bliebe es bei den 552 €.

Für Väter, die z.B 45% mitbetreuen, ist es aber ein erheblicher Unterschied, ob sie nach dem Lebensmittelpunktmodell Unterhalt zahlen oder nach dem Wechselmodell. Die Möglichkeit der Herabstufung - hier auf 522 € - ist da ein schwacher Trost. Es geht also um viel Geld.

Wegen des Zusammenhangs zwischen der Kinderbetreuung und dem Zahlbetrag werfen die Eltern sich oft gegenseitig vor, nur aus Kostengründen um das Wechselmodell zu streiten; der Vater wolle Geld sparen, die Mutter wolle ihren vollen Unterhaltsanspruch aufrechterhalten.

Die derzeitige Gesetzgebung / Rechtsprechung setzt für beide Seiten Fehlanreize, das Kindeswohl aus dem Blick zu verlieren.



Zur Wechselmodellberechnung dürfen Sie nicht die Tabelle nehmen, bei der das Kindergeld bereits abgezogen ist (sog. Zahlbeträge), sondern müssen mit dieser Tabelle arbeiten - Stand Januar 2024


Derzeitige Rechtslage bei Mitbetreuung unter 50%

Nimmt der barunterhaltspflichtige Elternteil ein Umgangsrecht wahr, das deutlich über eine übliche Umgangsregelung hinausgeht, kann die auf der Grundlage seiner Einkünfte beschränkte Barunterhaltspflicht nach bisheriger Rechtsprechung des BGH im Einzelfall sogar um mehrere Einkommensstufen bis zum Mindestbedarf herabgesetzt werden.

BGH-Beschluss 12.3.2014 – XII ZB 234/13 und BGH 5.11.2014 – XII ZB 599/13.


Fachveröffentlichungen 2022/2023 zum Unterhalt im Wechselmodell

Rubenbauer/Dose haben in ihrem Beitrag „Barunterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern unter Berücksichtigung des Betreuungsanteils bis hin zum Wechselmodell“ (FamRZ 2022, 1497) den alternativen Vorschlag gemacht, dass der Bedarfbedarf des Kindes von den beiden Eltern so gedeckt wird, wie es dem Verhältnis der Betreuungsanteile und dem Verhältnis der Leistungsfähigkeit zueinander entspricht. Damit würde auch ein Mitbetreuungsanteil wie beim sog. „erweiterten Umgang“ in die Unterhaltsberechnung einbezogen.


Borth hält in seinem erwidernden Beitrag (FamRZ 2023, 405) einen unmittelbaren Einfluss der Betreuungsquote auf die Barunterhaltspflicht von der derzeitigen Gesetzeslage nicht gedeckt und rechnet anders.

 

Gutdeutsch hat das im Aufsatz „Unterhalt bei erweitertem Umgangsrecht bzw. Wechselmodell“ (FamRZ 2023, 572) aufgegriffen und weiterentwickelt. Die Rechenmethode Rubenbauer/Dose sei weniger willkürlich als die bisherige „Abgruppierung“, aber rechnerisch anspruchsvoller – er stellt jedoch in Aussicht, dass das von ihm entwickelte Berechnungsprogramm, das an vielen Gerichten eingesetzt wird, diese Aufgabe lösen kann.


Allen Veröffentlichungen ist gemein, dass sie sich mit der Theorie eines Rechenansatzes befassen, aber das praktische Problem, wie die Betreuungsquote zu messen ist, nicht ansprechen. Als Praktiker am Familiengericht hat man jetzt schon mit excel-Tabellen und statistischen Auswertungen der Kalender zu tun, mit denen der Nachweis geführt oder entkräftet werden soll, dass es sich um "erweiterten Umgang" oder um ein "Wechselmodell" handelt.

Im Woche-Woche-Wechselmodell ist die Verteilung von Verantwortung, persönlicher Betreuung, Entlastung durch Fremdbetreuung und Freizeitvergnügen paritätisch. Unpraktischerweise hat die Woche eine ungerade Anzahl von Werktagen, was eine Gleichwertigkeit jeder anderen Aufteilung erschwert, wenn es auch noch ein – auch für das Kind – durchschaubarer Rhythmus sein soll. In allen anderen Modellen muss sich ein Werktag mit dem Wochenende, Schlafenszeit mit Hausaufgabenunterstützung und Frienzeit mit Schulzeit rechnerisch vergleichen lassen.

Je nach Wertung kommt man zu völlig unterschiedlichen Quoten.


Mein Tipp für Väter:

Wenn Sie Ihr Kind gleichberechtigt betreuen wollen, aber auf Widerstand der Mutter stoßen, dann prüfen Sie bitte kritisch, ob die Mutter sich das Wechselmodell objektiv leisten könnte. Falls der Unterschied zwischen dem Lebensmittelpunkt-Unterhalt und dem Wechselmodell-Unterhalt dazu führen würde, dass sie ihre Fixkosten nicht mehr decken kann und sich eine günstigere Wohnung suchen müsste, dann ist das Motiv für die Gegenwehr vielleicht überwiegend wirtschaftlich und vorwurfsfrei und realistisch zu betrachten. Berechtigte Existenzängste muss man ernst nehmen.

Wenn der Vater der Mehrverdiener ist, kann er sich ein Entgegenkommen evtl. leisten. Es hat sich in der Praxis schon oft als hilfreich erwiesen, der Mutter zuzusichern, dass sie "trotz" Wechselmodell ausreichend Unterhalt erhält. Mancher Vater ist durchaus bereit, sich das Wechselmodell zu erkaufen, weil seine Vaterrolle in Gold nicht aufzuwiegen ist.

Jedenfalls hat es sich noch nie als hilfreich für die Installierung des Wechselmodells gegen den Willen der Mutter erwiesen, wenn man zugleich beim Unterhalt um jeden Euro kämpft.

PS (natürlich kann der Fall auch mal andersherum liegen, aber das ist statistisch die Ausnahme)


Wann liegt ein echtes Wechselmodell vor?

Wann liegt ein unechtes Wechselmodell vor?

Wann ist es nur erweiterter Umgang?

Ein echtes Wechselmodell ist z.B. dann gegeben, wenn das Kind wöchentlich wechselt und beide Eltern in ihrer Betreuungszeit die volle Verantwortung für die Sicherstellung der Betreuung tragen, auch wenn das Kind krank ist, die KiTa streikt oder sie selbst beruflich verhindert sind.

Bei allen Betreuungsregelungen, die davon abweichen, muss geprüft werden, ob es wirklich ein "echtes Wechselmodell" ist.

Statistiken über die Betreuungszeit helfen nur bedingt, denn sie werfen Fragen auf: Wem wird die Fremdbetreuungszeit (KiTa, Schule) zugeordnet? Ist eine Nacht genausoviel wert wie ein Tag? Ist ein Wochenendtag genausoviel wert wie ein Werktag? Falls nein: mehr, weil die tatsächlich mit dem Kind verbrachte Zeit länger ist? Oder weniger, weil Freizeitgestaltung weniger Verantwortung beinhaltet und umgangstypisch ist?

Auch dann, wenn beide Eltern genau gleich viel Zeit mit der Betreuung des Kindes verbringen, liegt nur dann ein echtes Wechselmodell vor, wenn auch die Verantwortung für die Sicherstellung der Betreuung bei beiden Eltern liegt. Ein Vater, der aufgrund seiner beruflichen Verpflichtungen oder seiner Freizeitgestaltung die Kinder nur dann betreut, wenn es ihm passt und im Übrigen von der Mutter erwartet,  immer auf Abruf für ihn einzuspringen, auch kurzfristig, wenn er z.B. Überstunden machen muss, wird sich auch dann nicht auf ein Wechselmodell berufen können, wenn der Jahreskalender eine 50%ige Betreuungszeit ausweist.

Hinzukommen muss eine gleichberechtigte Verantwortungsübernahme auch für Arzttermine, Kleidungsbeschaffung, Unterstützung bei Hobbies etc.


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BGH 2017: Quotenmethode im Wechselmodell

Der BGH hat 2017 zusammengefasst, wie der Unterhalt im "echten Wechselmodell" funktioniert und berücksichtigt auch seine Kindergeld-Rechtsprechung. Das ist also derzeit die maßgebliche Vorgehensweise und bedeutet: Es stimmt nicht, dass im Wechselmodell kein Unterhalt geschuldet ist. Der Mehrverdiener muss dem Wenigerverdiener etwas zahlen. Wie viel, ist das Etgebnis einer durchaus komplexen Berechnung, die der ähnnelt, die man beim Volljährigenunterhalt kenn (Quotenhaftung, siehe Rechenbeispiel oben). Das Kindergeld wird nicht hälftig geteilt, sondern auch nach dieser Quote.


1. Im Fall des Wechselmodells haben grundsätzlich beide Elternteile für den Barunterhalt des Kindes einzustehen. Der Unterhaltsbedarf bemisst sich nach dem beiderseitigen Einkommen der Eltern und umfasst außerdem die infolge des Wechselmodells entstehenden Mehrkosten (im Anschluss an Senatsbeschluss v.5.11.2014 – XII ZB 599/13)


2. Der dem Kind von einem Elternteil während dessen Betreuungszeiten im Wechselmodell geleistete Naturalunterhalt führt nicht dazu, dass ein Barunterhaltsanspruch nicht geltend gemacht werden kann. Der geleistete Naturalunterhalt ist vielmehr nur als (teilweise) Erfüllung des Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen.

3. Der Unterhaltsanspruch kann in zulässiger Weise vom Kind gegen den besser verdienenden Elternteil geltend gemacht werden. Dass er sich auf den Ausgleich der nach Abzug von den Eltern erbrachter Leistungen verbleibenden Unterhaltsspitze richtet, macht ihn nicht zu einem - nur zwischen den Eltern bestehenden - familienrechtlichen Ausgleichsanspruch.


4. Das Kindergeld ist auch im Fall des Wechselmodells zur Hälfte auf den Barbedarf des Kindes anzurechnen. Der auf die Betreuung entfallende Anteil ist zwischen den Eltern hälftig auszugleichen. Der Ausgleich kann in Form der Verrechnung mit dem Kindesunterhalt erfolgen (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 20.4.2016 – XII ZB 45/15)

Der BGH-Fall 2017:
Die Kinder sind 10 und 16, die Eltern waren nie verheiratet und haben sich nach der Trennung auf die Betreuung der Kinder im paritätischen Wechselmodell geeinigt.


Aus den Gründen:
Der Antragsgegner ist nicht schon wegen der von ihm geleisteten hälftigen Kinderbetreuung nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB vom Barunterhalt befreit. Die Annahme, dass der Kindesunterhalt beim Wechselmodell stets durch den von beiden Eltern geleisteten Naturalunterhalt gedeckt wäre, betrifft nicht die Bemessung, sondern vielmehr die Erfüllung des Unterhaltsanspruchs.
Die gesondert zu beantwortende Frage der Erfüllung setzt neben der Bedarfsermittlung insbesondere eine vorherige Festlegung der von den Eltern geschuldeten Unterhaltsanteile gem. § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB voraus.
Der Unterhaltsbedarf bemisst sich beim Wechselmodell nach den beiderseitigen Einkommen der Eltern unter Vorwegabzug der angemessenen Selbstbehalte und umfasst neben dem sich daraus ergebenden Bedarf (Regelbedarf) insbesondere die Mehrkosten des Wechselmodells. Der Bedarf lässt sich nicht in zwei gesondert zu ermittelnde Beträge aufspalten, die für jeden Elternteil nach dessen jeweiliger alleiniger Unterhaltspflicht zu berechnen wären.
Diese Unterhaltsberechnung führt nicht zu einem – vom Unterhalt verschiedenen – Ausgleichsanspruch der am vorliegenden Verfahren nicht beteiligten Mutter gegen den Antragsgegner. Dass der Anspruch nicht auf den vollen und nicht durch eigene bezifferte Leistungen des Antragsgegners gedeckten Unterhalt, sondern nur auf die hälftige Differenz der von den Eltern nicht gedeckten Anteile gerichtet ist, stellt sich als Begrenzung des Anspruchs dar und erklärt sich aus der Annahme, dass jeder Elternteil neben den bezifferten Leistungen vor allem durch Naturalunterhalt auch die Hälfte des weiteren Bedarfs abdeckt.
Der Anspruch dient dann vor allem noch dem Zweck, eine angemessene, an der jeweiligen Leistungsfähigkeit orientierte Beteiligung der Eltern am Kindesunterhalt zu erzielen, und richtet sich auf die durch die Leistungen des besser verdienenden Elternteils noch nicht gedeckte Unterhaltsspitze.
Auch im Fall des Wechselmodells ist § 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB anzuwenden, sodass die Hälfte des Kindergeldes gem. § 1612b Abs. 1 Satz 2 BGB den Barbedarf mindert. Der Anspruch eines Elternteils auf Ausgleich des dem anderen Elternteil gezahlten Kindergeldes ist ein Unterfall des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs, der i.d.R. gem. § 1612b BGB durch eine Anrechnung des hälftigen Kindergeldes auf den Barbedarf des minderjährigen Kindes erfüllt wird, die den das Kindergeld nicht beziehenden Elternteil entlastet.
Der in § 1612b BGB vorgesehene Mechanismus führt indessen beim Wechselmodell nicht zum vollständigen Ausgleich des Kindergeldes. Zwar wird die auf den sächlichen (Bar‑)Bedarf des Kindes entfallende Kindergeldhälfte regulär auf den Barbedarf angerechnet und kommt damit den Eltern im Ergebnis entsprechend ihren Beteiligungsquoten zugute. Die auf die Betreuung entfallende Kindergeldhälfte verbleibt hingegen zunächst bei dem das Kindergeld beziehenden Elternteil und ist wegen der gleichwertigen Betreuungsleistungen der Eltern gesondert auszugleichen. Dies kann zur Vereinfachung auch in Form der Verrechnung der beiderseitigen Leistungen verwirklicht werden, damit ein Elternteil nur noch die nach Abzug der Hälfte des auf die Betreuung entfallenden Kindergeldanteils verbleibende Unterhaltsspitze zu zahlen hat.

Der BGH weist auch darauf hin, dass die Kosten für Tanzkurse und Musikschulen nicht automatisch Mehrbedarf, sondern durch den Regelbedarf teilweise abgedeckt und nur mit dem übersteigenden Betrag zu berücksichtigen sind.

Die Kindergarten- und Hortkosten sind ebenso wie die Fahrtkosten für den Schul- und Kindergartentransfer der Kinder als deren Mehrbedarf zu berücksichtigen. Mit dem Mehrbedarf korrespondierende Leistungen des anderen Elternteils sind zu berücksichtigen und konkret darzulegen.


„Das Oberlandesgericht hat die Anteile der Eltern, mit denen diese sich am Kindesunterhalt zu beteiligen haben, unter Vorwegabzug des sogenannten angemessenen Selbstbehalts ermittelt. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (Senatsurteile BGHZ 188, 50 =FamRZ 2011, 454Rn. 34 ff. mwN und vom 26. November 2008 - XII ZR 65/07 -FamRZ 2009, 962Rn. 32).
Die von der Rechtsbeschwerde befürwortete Quotierung allein aufgrund des Verhältnisses der Nettoeinkommen (ebenso jurisPR-FamR/Maes 10/2016 Anm. 2) ist verfehlt. Eine solche Quotierung würde die Leistungsfähigkeit der Eltern, die sich aus dem für den Unterhalt verfügbaren Einkommen oberhalb des Selbstbehalts ergibt, nicht widerspiegeln. Bei einer Quotierung nach dem gesamten Einkommen würden auch solche Einkommensteile in die Anteilsberechnung einbezogen, die von Gesetzes wegen für den Unterhalt nicht zur Verfügung stehen.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist auch nicht nur der notwendige Selbstbehalt abzuziehen. Dies wäre nur bei Eingreifen der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB gerechtfertigt. Ein solcher Fall liegt aber nicht vor, weil der Bedarf der Kinder von den beiderseitig barunterhaltspflichtigen Eltern aufgebracht werden kann, ohne dass deren angemessener Selbstbehalt berührt wird (vgl. Senatsurteil BGHZ 188, 50 =FamRZ 2011, 454Rn. 34 ff. mwN).“


„Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde führt die Unterhaltsberechnung des Oberlandesgerichts nicht zu einem - vom Unterhalt verschiedenen - Ausgleichsanspruch der am vorliegenden Verfahren nicht beteiligten Mutter gegen den Antragsgegner.
Die Rechtsbeschwerde beruft sich darauf, dass die der Mutter angerechneten Leistungen für einzelne Zeitabschnitte den von ihr zu tragenden Unterhaltsanteil überstiegen und zu negativen Beträgen führen. Dadurch verändert sich indessen nicht der Charakter des Anspruchs als Unterhaltsanspruch. Zwar ist der zuerkannte Anspruch vom Oberlandesgericht als Ausgleichsanspruch bezeichnet worden (vgl. auch Bausch/ Gutdeutsch/SeilerFamRZ 2012, 258, 260; zum Ausgleich des Kindergelds vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2016 - XII ZB 45/15 -FamRZ 2016, 1053Rn. 12).
Der Anspruch wird aber im vorliegenden Verfahren von den durch die Mutter vertretenen Kindern in zulässiger Weise als Unterhaltsanspruch geltend gemacht. Dass der Anspruch nicht auf den vollen und nicht durch eigene bezifferte Leistungen des Antragsgegners gedeckten Unterhalt, sondern nur auf die hälftige Differenz der von den Eltern nicht gedeckten Anteile gerichtet ist, stellt sich als Begrenzung des Anspruchs dar und erklärt sich aus der Annahme, dass jeder Elternteil neben den bezifferten Leistungen vor allem durch Naturalunterhalt auch die Hälfte des weiteren Bedarfs abdeckt. Der Anspruch dient dann vor allem noch dem Zweck, eine angemessene, an der jeweiligen Leistungsfähigkeit orientierte Beteiligung der Eltern am Kindesunterhalt zu erzielen, und richtet sich auf die durch die Leistungen des besser verdienenden Elternteils noch nicht gedeckte Unterhaltsspitze.
Der Anspruch ist - wie ausgeführt - mangels einer anderweitigen Bestimmung der Eltern nach § 1612 Abs. 2 BGB auf Geld gerichtet. Der Anspruch ist auch nicht durch die Leistungen des anderen Elternteils (hier der Mutter) gedeckt, denn diese haben - mangels Anrechnungsbestimmung des Leistenden als insoweit freiwillige Leistungen Dritter, insoweit nicht Unterhaltspflichtiger, keine Erfüllungswirkung. Auch eine Haushaltsaufnahme nach § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB liegt nicht vor. Die Vorschrift ist auf den Fall zugeschnitten, dass der Unterhaltsbedarf des Kindes in vollem Umfang und kontinuierlich im Haushalt des Barunterhaltspflichtigen erbracht wird.
Dass der Anspruch seiner Natur nach einen Ausgleichsanspruch darstellt, könnte sich mithin nur dann ergeben, wenn der Antragsgegner eine über den geschuldeten Unterhalt hinausgehende Leistung zu erbringen hätte, was hier aber nicht der Fall ist.“


„Die vom Oberlandesgericht vorgenommene vereinfachende Schätzung der auf das jeweilige Kind entfallenden Wohnmehrkosten (vgl. FAKommFamR/Müting 5. Aufl. § 1606 BGB Rn. 34; Scheiwe FF 2013, 280, 284; JokischFuR 2014, 28; aA WohlgemuthFamRZ 2014, 84, 85; FPR 2013, 157, 158) stößt hingegen auf durchgreifende Bedenken.
Ob und in welchem Umfang wechselmodellbedingte Mehrkosten auftreten, beurteilt sich aus einem Vergleich der auf das Kind entfallenden tatsächlichen mit den in den Tabellenbedarf einkalkulierten Wohnkosten, welche üblicherweise mit jeweils 20 % des Tabellenbetrags pauschaliert werden. Zieht man für den Vergleich hingegen die kalkulatorischen Wohnkosten aus den sich nach den Einzeleinkommen ergebenden Tabellenbeträgen heran, so orientiert sich die Bemessung am Einkommen der Eltern, ohne dass geprüft wird, ob ein entsprechender Einkommensteil auch für die Wohnkosten verwendet wird. Auch besteht die Gefahr widersprüchlicher Ermittlung, wenn etwa - wie im vorliegenden Fall - der Unterhaltspflichtige im Eigenheim lebt und Wohnkosten bereits bei der Ermittlung des Wohnvorteils als Einkommensbestandteil Berücksichtigung gefunden haben.
Der Senat hat dementsprechend bereits in anderen Zusammenhängen eine allein am Einkommen orientierte Bemessung des Wohnwerts abgelehnt (vgl. Senatsurteil vom 22. April 1998 - XII ZR 161/96 -FamRZ 1998, 899, 902zur sog. Drittelobergrenze). Ein konkreter Vortrag der Beteiligten zu den Wohnmehrkosten ist daher unerlässlich.“

Der BGH verwies zurück an das OLG Dresden: „Bei der erneuten Ermittlung wird das Oberlandesgericht auch die weiteren korrekturbedürftigen Positionen (etwa Mehraufwand für Wohnung auf Seiten der Mutter) zu berücksichtigen haben.“


aus: Bundesgerichtshof, Beschluss v. 11.1.2017 – XII ZB 565/15


BGH 2016: Die Viertellösung beim Kindergeld im Wechselmodell

Der BGH-2016-Fall:

Die drei Kinder leben im Wechselmodell. Die Familienkasse zahlt das Kindergeld an die Mutter. Die Mutter hat davon einige Fixkosten getragen (Bekleidung, Schulutensilien, Mobilität und Versicherungen). Eine Unterhaltsregelung haben diese Eltern nicht getroffen. Beide haben Einkommen.

Grundlagen: Kindergeld als Steuervergütung

Das auf der Grundlage des Einkommensteuergesetzes gewährte staatliche Kindergeld wird als vorweggenommene Steuervergütung an die Eltern gezahlt. Anspruchsberechtigt ist immer nur ein Elternteil und zwar der, bei dem das Kind den Lebensmittelpunkt hat. Können die Eltern sich nicht einigen, z.B. beim Wechselmodell, trifft das Familiengericht eine für die Familienkasse bindende Entscheidung.  

Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch

Der BGH hat einen sog. „familienrechtlichen Ausgleichsanspruch“ kreiert, der nicht im Gesetz steht. Der Anspruch eines Elternteils auf Ausgleich des dem anderen Elternteil gezahlten Kindergelds ist ein Unterfall des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs. In Normalfällen wird dieser aber durch § 1612 b Abs. 1 BGB verdrängt.

Das Kindergeld im Wechselmodell

Umstritten ist beim Vorliegen eines Wechselmodells die Aufteilung des gesetzlichen Kindergelds zwischen den Elternteilen. Der BGH hat zwischen den verschiedenen Auffassungen wie folgt entschieden:

Nach § 1612 b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden, wenn ein Elternteil im Sinne von § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt. In allen anderen Fällen erfolgt die Anrechnung des Kindergelds gemäß § 1612b Abs. 1 Nr. 2 BGB in voller Höhe auf den Barbedarf. Die Anrechnungsregel des § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auf Fälle getrennt lebender Eltern zugeschnitten, in denen (nur) einer der beiden Elternteile das minderjährige Kind betreut, während der andere zur Zahlung des Barunterhalts verpflichtet ist. Mit der Auffangvorschrift des § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB wollte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs hingegen solche Fälle in den Blick nehmen, in denen das Kind entweder wegen Volljährigkeit einer Betreuung nicht mehr bedarf oder die Betreuung eines minderjährigen Kindes (etwa bei Fremdunterbringung) nicht wenigstens durch einen der beiden Elternteile erfolgt und deshalb von ihnen nur Barunterhalt zu leisten ist.

Keine dieser beiden Konstellationen, die der Gesetzgeber den beiden Anrechnungsregeln des § 1612b Abs. 1 BGB zugrunde gelegt hat, liegt bei einem Wechselmodell vor. Indessen beruht die gemäß § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB vorgesehene Halbanrechnung des Kindergelds auf der grundlegenden gesetzgeberischen Erwägung, dass betreuende Elternteile mit der anderen Hälfte des Kindergelds bei der Erbringung ihrer Betreuungsleistungen unterstützt werden sollen. Dieser Zweck wird, was letztlich auch das Beschwerdegericht nicht anders sieht, bei der gleichwertigen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile im Rahmen eines Wechselmodells nicht verfehlt. Eine Vollanrechnung des gesetzlichen Kindergelds auf den Barunterhaltsbedarf würde zudem dazu führen, dass der Kindergeldausgleich im Hinblick auf die im Wechselmodell gleichwertig erbrachten Betreuungsleistungen zu Gunsten des besserverdienenden Elternteils verzerrt würde.

Die Anrechnung des staatlichen Kindergelds auf den Barbedarf des Kindes nach Maßgabe des § 1612b Abs. 1 BGB ist auch bei beiderseitiger Barunterhaltspflicht im Wechselmodell zwingend. Wie sich bereits aus seinem Wortlaut ergibt ("in allen anderen Fällen"), liegt dem Gesetz die Konzeption zugrunde, dass das gezahlte Kindergeld stets – je nach Sachverhaltsgestaltung entweder zur Hälfte oder vollständig – zweckgebunden als Einkommen des Kindes zu behandeln ist und deshalb ein bedarfsmindernder Vorwegabzug des Kindergelds vom Barunterhalt stattzufinden hat. Eine Kindergeldverteilung, die sich – wie die vom Beschwerdegericht für richtig befundene einkommensunabhängige Halbteilung zwischen den Elternteilen – von jeder Anrechnung des Kindergelds auf den Barunterhaltsbedarf des Kindes löst, lässt sich mit dem Gesetz insoweit nicht in Einklang bringen.

Etwas anderes kann auch nicht aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB hergeleitet werden. (…)

Die hälftige Anrechnung des Kindergelds auf den Barbedarf des Kindes nach § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB hat beim Wechselmodell zur notwendigen Folge, dass der besser verdienende Elternteil durch das Kindergeld in einem größerem Umfang entlastet wird. Ist der schlechter verdienende Elternteil unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig, kommt der auf den Barunterhalt entfallende Anteil des Kindergelds infolge der Anrechnung allein dem leistungsfähigen Elternteil zu Gute. Dem kann auch nicht ohne weiteres entgegengehalten werden, dass beim Wechselmodell auch der leistungsunfähige Elternteil – worauf das Beschwerdegericht hingewiesen hat – in der Zeit, in der sich das Kind in seinem Haushalt aufhält, jedenfalls durch Wohnungsgewährung und Verpflegung Naturalunterhaltsleistungen erbringt. Denn Wohnungsgewährung und Verpflegung, die dem Kind beim Wechselmodell durch einen Elternteil erbracht werden, erfassen nur einen (relativ) geringen Teil des – im Übrigen allein vom leistungsfähigen Elternteil aufzubringenden – sächlichen Gesamtbedarfs des Kindes. Es erscheint deshalb ebenfalls nicht angemessen, den in einem deutlich größeren Umfang zum Barunterhalt herangezogenen Elternteil wirtschaftlich lediglich durch die Hälfte des auf den Barunterhalt entfallenden Anteils am Kindergeld zu entlasten. Die sich daraus ergebenden Wertungskonflikte hat das Gesetz durch die Anrechnungsregel des § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB zugunsten des Elternteils aufgelöst, der sich aufgrund seines höheren Einkommens in größerem Umfang am Barunterhalt für das Kind beteiligen muss.

Verlangt der nicht kindergeldbezugsberechtigte Elternteil insoweit die Hälfte des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils, ist es grundsätzlich seine Sache, die Haftungsanteile der Eltern am Barunterhalt darzulegen und zu beweisen. Eine solche Darlegung wird zudem in der Regel einen gesonderten Kindergeldausgleich entbehrlich machen, weil dann eine Gesamtabrechnung über den unterhaltsrechtlichen Ausgleich zwischen den Eltern unter An- und Verrechnung des an einen Elternteil gezahlten Kindergelds möglich ist. Ein Anspruch auf hälftige Auskehrung des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils wird beim Wechselmodell auch dann in Betracht kommen, wenn beide Elternteile nicht leistungsfähig sind.

Anders verhält es sich mit dem auf den Betreuungsunterhalt entfallenden Anteil am Kindergeld. Dieser steht den Elternteilen beim Wechselmodell aufgrund der von ihren gleichwertig erbrachten Betreuungsleistungen hälftig zu.

Ergebnis:

Der Vater konnte die Auskehrung eines Viertels des Kindergelds – nämlich die Hälfte des auf den Betreuungsunterhalt entfallenden Anteils am Kindergeld – verlangen.

Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch unterliegt jedoch für die Vergangenheit der Schranke des § 1613 Abs. 1 BGB, so dass dies rückwirkend erst ab Inverzugsetzung gilt.

Ihre Fixkosten konnte die Mutter nicht gegenrechnen, weil völlig unklar war, in welcher Höhe sie dies sowieso als Unterhalt hätte tragen müssen.

BGH, Beschluss vom 20.4.2016 – XII ZB 45/15


OLG Brandenburg 17.03.2022: 45% ist kein Wechselmodell

Die Voraussetzungen eines paritätischen Wechselmodells liegen nicht vor, wenn eine über den gewöhnlichen Umgang hinausgehende Betreuungszeit beim umgangsberechtigten Elternteil vorliegt, der Schwerpunkt der Pflege und Erziehung der minderjährigen Kinder jedoch bei dem anderen Elternteil liegt. Dies gilt auch dann, wenn die Betreuungszeit des umgangsbefugten Elternteils für die beiden Kinder bei 45 % bzw. 39 % liegt.

Zum Ausgleich des betreuungsbedingten Mehraufwands des umgangsbefugten Elternteils (für Schule, Spielzeuge, Hobbys der Kinder, Begleitung zu Trainingslagern) ist eine Herabstufung des Bedarfssatzes der Düsseldorfer Tabelle um zwei Einkommensgruppen angemessen.

OLG Brandenburg Beschl. v. 17.3.2022 – 9 UF 155/21


OLG Dresden 30.09.2021: 45% bzw. 6:8 ist kein Wechselmodell

Die nach der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2014, 917 Rz.14 f.) maßgeblichen Voraussetzungen für ein paritätisches Wechselmodell liegen nicht vor, wenn das gemeinsam betreute Kind von einem Elternteil mit einem zeitlichen Anteil von 42 oder 45 % betreut wird. Denn bei einer tatsächlich vorliegenden 6:8-Verteilung besteht jedenfalls dann ein (noch) feststellbarer Schwerpunkt i. S. der Rechtsprechung des BGH bei einem Elternteil, wenn einzelfallbezogen keine Besonderheiten gegeben sind.

Der Vater betreute die Tochter 14täglich jeweils von Mittwoch nach dem Kindergarten (ca. 15:30 Uhr) bis zum darauffolgenden Dienstag (Bringen zum Kindergarten) - also an sechs von 14 Tagen.

Oberlandesgericht Dresden, Beschluss v. 30.9.2021 – 20 UF 421/21


KG Berlin 15.4.2019: 45% ist nur erweiterter Umgang

  1. Bei einer Betreuung des gemeinsamen Kindes durch beide Elternteile im Verhältnis von 45 % zu 55 % kann von einem unterhaltsrechtlichen paritätischen Wechselmodell, bei dem beide Elternteile quotal für den Unterhaltsbedarf des Kindes einzustehen haben, noch keine Rede sein.
  2. Der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Sorge- und Umgangssachen (Beschluss v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15, BGHZ 214, 31) anerkannte Grundsatz, dass ein paritätisches Wechselmodell nur angeordnet werden kann, wenn zwischen den Eltern eine tragfähige Kommunikations- und Kooperationsbasis besteht, kann vom grundsätzlichen Denkansatz her als wertendes Element herangezogen werden, um die Frage zu entscheiden, ob ein spezifisches, von den Eltern praktiziertes Betreuungsmodell bereits als echtes Wechselmodell qualifiziert werden kann. Denn ohne eine gewisse Basis bei der Kommunikation und Kooperation der Eltern ist es auch aus unterhaltsrechtlicher Sicht nicht vorstellbar, wie die Eltern in der Lage sein wollen, die mit zunehmenden Alter des Kindes immer wichtiger werdenden organisatorischen Aspekte der Kinderbetreuung im Wechselmodell wahrzunehmen.
  3. Zur Frage, ob der vom pflichtigen Elternteil geschuldete Barunterhalt zu mindern ist, weil der betreffende Elternteil für das unterhaltsberechtigte Kind regelmäßig Bekleidung kauft, Reisen finanziert oder sonstige Ausgaben bestreitet.


KG Berlin vom 15.04.2019 - 13 UF 89/16


Die Eltern hatten sich auf ein Modell geeinigt, bei dem das Kind an 9 von 20 Tagen beim Vater war, abhängig von dessen Schichtplan immer 4 oder 5 Tage am Stück. Das KG sah einen Schwerpunkt der "Obhut" bei der Mutter und damit einen Unterhaltsanspruch dem Grunde nach und eine alleinige Barunterhaltspflicht beim Vater (nicht nach Quote). 45/55 sei ein "erweiterter Umgang". Konsequenterweise hafte die Mutter nicht für den Barunterhalt und müsse auch keine Auskunft erteilen.


Im konkreten Fall sah das KG weder Mehrkosten bei Fahrten (die Eltern wohnten fußläufig zueinander) noch bei den Wohnkosten (der Vater hatte "sowieso" ein großes Eigenheim).

Anschaffungen, die aus Pragmatismus doppelt gemacht wurden, um den dauernden Hin-und-Her-Transport zu vermeiden, wurden als nicht notwendig angesehen und würden nicht zur finanziellen Entlastung der Mutter führen. Der Umgangsberechtigte dürfe auch nicht zu Lasten des Unterhaltes einseitig entscheiden, was angeschafft werde. Solche Anschaffungen (Beispiel Fahrrad, Geschenke zu Kindergeburtstagen) seien nur dann Naturalleistungen statt Barunterhalt, wenn die Mutter damit einverstanden gewesen wäre, dass die Kosten vom Unterhalt abgezogen werden.

Der Vater wurde verurteilt, aus knapp 2.000 Euro bereinigtem Netto den Mindestunterhalt zu zahlen, d.h. er wurde um eine Einkommensgruppe herabgestuft.


Nach DT 2021 würde er damit für ein Kind 6-11 monatlich 22 € sparen - das wäre also der Betrag, aus dem er den erweiterten Umgang finanzieren soll.


Projektgruppe Doppelresidenz: Thesen für ein zeitgemäßes Unterhaltsrecht

Das Unterhaltsrecht bedarf angesichts einer wachsenden Zahl von Eltern, bei denen nicht einer nur die Funktion eines Besuchselternteiles mit 2 Übernachtung im Monat hat, einer Neuregelung -  das hat auch die Gesetzgebung erkannt.

Gesetzgebungsentwürfe sind schon seit 2019 in der "Pipeline".

Hier finden sich Anstöße aus Sicht der "Projektgruppe Doppelresidenz":

Download: Zeitgemäßes Unterhaltsrecht aus Sicht der Projektgruppe Doppelresidenz - Stand 2019

Durchsetzung des Kindesunterhalts beim Wechselmodell:
§ 1628 BGB oder Ergänzungspfleger?

Im Fall eines Wechselmodells bei der Kinderbetreuung kann die Übertragung der Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung des Kindesunterhalts auf einen Elternteil gemäß § 1628 BGB vorzugswürdig gegenüber der Einsetzung eines Ergänzungspflegers sein. Ein Vertretungsausschluss setzt einen konkreten Interessengegensatz im Einzelfall voraus. Das hat das OLG Frankfurt am Main 2016 entschieden.
 
Der Fall:

Zwei Kinder, Wechselmodell, gemeinsames Sorgerecht. Der Vater zahlt an die Mutter Kindesunterhalt, die Mutter meint „zu wenig“. Das Amtsgericht übertrug der Mutter im Wege einer einstweiligen Anordnung die Entscheidung über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für die Kinder allein.

Dagegen wendet sich der Vater mit seiner Beschwerde. Da auch die Mutter zum Barunterhalt herangezogen werden könne, liege eine Interessenkollision vor, die die Einsetzung eines Ergänzungspflegers gebiete.

Aus der Entscheidung:

§ 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB sieht vor, dass der Obhutselternteil auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge befugt ist, das Kind bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den anderen Elternteil allein zu vertreten.

Bei gemeinsamer elterlicher Sorge im Fall eines paritätischen Wechselmodells ist aber kein Elternteil befugt, in alleiniger Vertretung des Kindes dessen Unterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil geltend zu machen, denn in diesem Fall betreuen beide das Kind, und eine alleinige Obhut i.S.d. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB besteht nicht. In diesem Fall kommt zum einen die Bestellung eines Pflegers für das Kind in Betracht, zum anderen aber auch der Antrag eines Elternteils, ihm gem. § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen.

Das OLG hält den Lösungsweg über § 1628 BGB für vorzugswürdig, weil die Entscheidung über das Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens, die dem Verfahren vorausgeht, unabhängig von der Vertretung des Kindes im Verfahren zu beurteilen ist.

Die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den mitsorgeberechtigten Elternteil führt gem. § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB unmittelbar zur Alleinvertretungsbefugnis des anderen Elternteils. Die Einsetzung eines Ergänzungspflegers ließe – sofern ihre Voraussetzungen nach § 1629 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 1796 BGB überhaupt erfüllt sind – die Frage des Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens noch ungeklärt.

Der in der Literatur vertretenen Ansicht, für die Geltendmachung von Unterhalt für Kinder, die von gemeinsam sorgeberechtigten Eltern im Wechselmodell betreut werden, sei zur Vermeidung von Interessenkonflikten immer ein Ergänzungspfleger einzusetzen (Götz, FF 2015, 149 und Seiler, FamRZ 2015, 1850), schließt sich das OLG nicht an.

Zwar ist ein abstrakter Interessengegensatz zwischen dem vertretenden Elternteil und dem Kind nicht von der Hand zu weisen, denn wenn das Kind von beiden Elternteilen zu gleichen Teilen betreut wird, sind die zu seiner Vertretung bei der Geltendmachung von Unterhalt berechtigten Elternteile immer auch in eigenen Interessen berührt. Das OLG geht aber davon aus, dass ein Vertretungsausschluss nach § 1796 BGB als Eingriff in die elterliche Sorge nicht ohne Weiteres wegen eines abstrakten Interessengegensatzes erfolgen darf, sondern einen im Einzelfall festzustellenden konkreten Interessengegensatz voraussetzt.
 
Vorteil:

Die Bestellung eines Ergänzungspflegers gem. § 1909 BGB löst zusätzliche Kosten aus, denn dieser kann für seine Tätigkeit eine Vergütung verlangen, § 1915 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dagegen ist eine einstweilige Anordnung mit einem Antrag nach § 1628 BGB schnell und relativ kostengünstig durchzusetzen.
 
Ohne Anhörung, eA möglich, beschwerdefähig:

Das OLG hat des Weiteren bestätigt, dass die Anhörung der betroffenen Kinder gem. § 159 Abs. 1 Satz 2 FamFG unterbleiben konnte und die Entscheidung im Wege einer einstweiligen Anordnung getroffen werden durfte (so auch OLG Hamburg, Beschl. v. 27.10.2014 – 7 UF 124/14). Die Beschwerde ist gem. § 57 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 58 ff FamFG zulässig, wenn die Regelung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge betroffen ist.

OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 17.10.2016 – 6 UF 242/16



So entschied auch zuvor schon Hamburg (2014):

Wenn die gemeinsam sorgeberechtigten Kindeseltern ein echtes Wechselmodell praktizieren und der eine Elternteil Ansprüche des Kindes auf Barunterhalt gegen den anderen Elternteil gerichtlich geltend zu machen beabsichtigt, hat er die Wahl, ob er entweder die Bestellung eines Pflegers für das Kind herbeiführt oder ob er nach §  1628   BGB  bei dem Familiengericht beantragt, die Entscheidung über die Geltendmachung von Kindesunterhalt auf ihn allein zu übertragen. Das Wahlrecht zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist nicht durch besondere Kautelen eingeschränkt (BGH, Urt. v. 21. 12. 2005, Az.  XII ZR 126/03, NJW 2006, S.  2258  ff.).
Die Übertragung der Entscheidung nach §  1628   BGB  kann auch durch einstweilige Anordnung erfolgen.
OLG Hamburg, Beschluss vom 27.10.2014 - 7 UF 124/14

  • Unechtes Wechselmodell: Was ist bei 49/51?

    Die Gerichte wollen nicht bei allen Familien nachzählen, wieviel Tage das Kind sich wo aufhält. Liegt also nicht ein wirklich genaues 50:50-Modell vor (z.B. weil die Kinder wöchentlich wechseln), gilt bei allen anderen Modellen des sog. "erweiterten Umganges" zur Entlastung der Gerichte immer konsequent die Düsseldorfer Tabelle zugunsten des Elternteils, bei dem das Kind 51% oder mehr lebt!


    Nach der Rechtsprechung liegt etwa dann kein echtes Wechselmodell vor, wenn


    •     die Betreuungsleistung zwar von beiden Eltern erbracht wird, der eine Elternteil aber eine Betreuungsleistung von 2/3 und der andere Elternteil von 1/3 erbringt (BGH v. 21.12.2005 – Az. XII ZR 126/03). Die Betreuungsleistung muss vielmehr annähernd gleich (50:50) aufgeteilt sein,
    •     die Betreuungsleistungen der Eltern mehr als 10 Prozent vom rechnerischen Mittel (50 Prozent) abweichen, also ab einem Verhältnis der Betreuungsleistungen von 40:60;
    •      das Kind im Fall einer Erkrankung nur von einem Elternteil versorgt wird (OLG Frankfurt FamRZ 2014, 46),
    •     ein Elternteil (Mutter) im Falle von Überstunden des anderen Elternteils (Vater) die Betreuung übernimmt oder die Beschaffung von Kleidung und Schulsachen und die Begleitung zu Schul- und Musikstunden nur durch einen Elternteil durchgeführt wird (BGH v. 12.03.2014 – Az. XII ZB 234/13).

    Beim unechten Wechselmodell bleibt es bei der üblichen Berechnung des Unterhalts desjenigen Elternteils, der weniger Betreuungsleistung erbringt. 


    Unstreitig überhaupt kein Wechselmodell liegt vor, wenn ein Elternteil an jedem zweiten Wochenende und an einem Werktag der Woche die persönliche Betreuung übernimmt, auch wenn er angesichts von Fremdbetreuung an Werktagen damit mehr persönlich betreut als der Andere.

  • Kann man sich auch anders einigen?

    Ja. Kindesunterhalt ist zwar unverzichtbar, aber über eine "Freihaltung im Innenverhältnis" kann man klarstellen, dass es den Kindern an nichts fehlt, nur weil die Eltern eine individuelle Lösung finden.

  • Ideen für eigene Lösungen

    Alle außerhäusigen Kosten (Schule, Kleidung, Hobbies ...) werden vom Kindergeld bestritten, der Rest hälftig geteilt. Was im jeweiligen Haushalt anfällt (Essen, Wohnen, gemeinsame Freizeitgestaltung) trägt der jeweilige Elternteil. Oftmals ist das Vertrauen der Eltern sogar noch groß genug, um dafür ein gemeinsames Konto einzurichten, zu dem beide Zugang haben und einander Rechenschaft ablegen.


    Aber:

    Diese hälftige Aufteilung ist ungerecht, wenn die Eltern sehr unterschiedlich gut verdienen. 


    Tipp:  So lange zwischen den Eltern selbst noch eine Unterhaltsbeziehung besteht, kann einfach der Mehrverdiener die Bar-Kosten decken und zu 3/7 vom Ehegatten-Unterhalt abziehen. Das ist die unkomplizierste Lösung, die zu einer annähernd identischen Einkommensverteilung unterm Strich führt wie alle komplizierten Methoden.

  • Erweiterter Umgang

    Wenn für ein echtes Wechselmodell der Mitbetreuungsanteil zu klein ist, aber trotzdem höher als bei dem Modell, dass der Düsseldorfer Tabelle zugrund liegt, kann das unterhaltsrechtlich berücksichtigt werde.


    Der "Mehraufwand" kann durch Herabstufung der Einkommensstufe der Düsseldorfer Tabelle abgegolten sein (BGH vom 12.3.2014 – XII ZB 234/13).


    Oder die Kosten können um einen konkreten Betrag gekürzt werden, wenn nämlich auf der anderen Seite genau diese konkreten Kosten erspart werden.


    Was z.B. Lebensmittelkosten anbelangt, so hat der BGH entschieden, dass bei der Mutter noch keine Ersparnis eintritt, falls der Vater die Kinder nur vier Tage mehr sieht als “normal”. Bei noch mehr Zusatz-Tagen tritt allerdings eine Ersparnis ein, die dazu führen kann, dass beim laufenden Barunterhalt eine Herabstufung um eine oder mehrere Stufen in der Düsseldorfer Tabelle stattfindet (OLG Frankfurt FamRZ 2014,46).


    Was z.B. Kleidung angeht, sind die Kosten nur dann abziehbar, wenn der Lebensmittelpunkt-Elternteil damit einverstanden ist, keine Wechselwäsche mitzugeben.

  • Wechselmodell und Hartz IV

    Der Fall: 

    Ein getrenntlebender Hartz-IV-Empfänger betreut mit seiner ebenfalls von Hartz IV lebenden Ex-Frau im wöchentlichen Wechsel die gemeinsamen zwei Söhne. Er beantragt beim Jobcenter den hälftigen Mehrbedarf für Alleinerziehende. Dieser steht dem Elternteil zu, bei welchem das Kind bzw. die Kinder überwiegend leben, wobei sich die Höhe der Leistung nach Anzahl und Alter der betreuenden Kinder richtet.  Dieser darf nicht mehr als 60 Prozent des Regelbedarfs betragen. Damit ergab sich für 2019 eine Höchstgrenze von 254,40 Euro.


    Das Jobcenter lehnte den Antrag des Familienvaters jedoch ab, da kein höherer Aufwand für Alleinerziehung bestehe. Außerdem liege kein Nachweis vor, welcher Mehrbedarf tatsächlich anfalle . Zudem wurde darum gestritten, ob die Kinder jeweils bei den Unterkunftskosten berücksichtigt werden und folglich Anspruch auf höhere Leistungen bestehe. Denn nach geltendem Recht bestand nur Anspruch auf Kostenübernahme für das Elternteil, bei welchem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat.


    BSG: Wechselmodell begründet Mehrbedarf für Alleinerziehende


    Das Urteil: Bei gleich aufgeteilter Kinderbetreuung kann der Lebensmittelpunkt des Kindes nicht bestimmt werden. Aus diesem Grund steht es getrennt lebenden Eltern bei Anwendung des Wechselmodells im Wochenrythmus zu, den Mehrbedarf für Alleinerziehende zu beantragen. Außerdem handele es sich dabei um eine pauschale Leistung, für welche per Gesetz keine Vorlage von Nachweisen vorgesehen sei.


    Das BSG entschied auch bezüglich der Unterkunftskosten gegen das Jobcenter. Zwar müsse das Jobcenter Kinder normalerweise nur für die Unterkunft berücksichtigen, in welcher es sich überwiegend aufhält. Da dieses beim Wechselmodell jedoch nicht bestimmt werden kann, muss das Jobcenter ab sofort nach „Köpfen“ und mit Einrechnung des Kinders/Kinder für jeweils beide Unterkünfte zahlen.


    Urteil: Bundessozialgericht (BSG) in Kassel, 11.07.2019, Az.: B 14 AS 23/18 R



  • Wohngeld im Wechselmodell

    Verwaltungsvorschriften zu § 5 Absatz 4 WoGG


    5.41 

    Kinder von getrennt lebenden Eltern, die Kinder zu annähernd gleichen Teilen betreuen, und gleichgestellte Fälle


    (1) Ein Kind von nicht nur vorübergehend getrennt lebenden Eltern ist bei dem Elternteil zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied, bei dem es seinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen hat (siehe Nummer 5.15). Kind im Sinne des § 5 Absatz 4 WoGG ist das minderjährige Kind.


    (2) Betreuen die nicht nur vorübergehend getrennt lebenden Eltern das Kind oder die Kinder zu annähernd gleichen Teilen, rechnet das jeweilige Kind bei beiden Elternteilen als zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied. Das Gleiche gilt, wenn die Eltern das Kind im zeitlichen Umfang von mindestens einem Drittel zu zwei Dritteln betreuen.


    (3) Eine Betreuung zu annähernd gleichen Teilen bzw. eine Betreuung in einem zeitlichen Umfang von mindestens einem Drittel zu zwei Dritteln liegt nur vor, wenn sich das Kind abwechselnd und regelmäßig bei beiden Elternteilen aufhält.


    Bei der Beurteilung des Betreuungsverhältnisses sind die Verhältnisse im BWZ maßgebend. Eine Änderung des Betreuungsverhältnisses kann eine Änderung im Sinne des § 27 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 WoGG sein.


    (4) Der Umfang der Betreuung ist für jedes Kind glaubhaft zu machen. Eine gerichtliche Regelung bzw. eine schriftliche Vereinbarung der Eltern oder sonstige Unterlagen sind gegebenenfalls beizufügen.


    (5) Haben nicht nur vorübergehend getrennt lebende Eltern mehrere Kinder und wird die Betreuung unterschiedlich ausgeübt, ist


    1. 

    auf die annähernd zu gleichen Teilen und auf die bis zu einem Verhältnis von mindestens einem Drittel zu zwei Dritteln betreuten Kinder § 5 Absatz 4 Satz 1 WoGG und


    2. 

    auf die in einem anderen Verhältnis betreuten Kinder § 5 Absatz 4 Satz 3 WoGG anzuwenden. Als Betreuung gilt nur, wenn das Kind von einem Elternteil nur unwesentlich weniger als zu einem Drittel betreut wird. Der gelegentliche Umgang mit dem Kind gilt nicht als Betreuung.


    (6) Wenn ein Elternteil mindestens zwei Kinder von unterschiedlichen Partnern, von denen er jeweils nicht nur vorübergehend dauernd getrennt lebt, hat, und er diese Kinder nicht mindestens zu einem Drittel betreut, ist § 5 Absatz 4 Satz 3 WoGG entsprechend anzuwenden. Zur Definition der Betreuung vgl. Absatz 5 Satz 2 und 3.


    Quelle:

    https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_28062017_SWII4.htm


  • Kindergeldkasse und Wechselmodell

    Kindergeld-Berechtigtenbestimmung durch das Familiengericht


    KG Berlin, 26.08.2019, 13 WF 69/19

    Zur Bestimmung des kindergeldbezugsberechtigten Elternteils, wenn die Eltern miteinander vereinbart haben, das gemeinsame Kind im paritätischen Wechselmodell zu betreuen


    Aus den Gründen: Das Gesetz macht in § 64 EStG keine Vorgaben, nach welchen Maßstäben das Familiengericht die Bezugsberechtigung zu bestimmen hat. In der Rechtsprechung (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 25. Mai 2018 - 19 UF 24/18, FamRZ 2019, 31 [bei juris LS 1 sowie Rz. 16, 26]; OLG Dresden, Beschluss vom 30. Dezember 2013 - 20 WF 1043/13, FamRZ 2014, 1055 [bei juris Rz. 15]) und der Literatur (vgl. Wendl/Dose-Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis [9. Aufl. 2015], § 2 Rn. 705; Büte/Poppen/Menne-Poppen, Unterhaltsrecht [3. Aufl. 2015], § 77 EStG Rn. 5) ist anerkannt, dass sich die Bezugsberechtigung - wenn die Eltern keine Bestimmung getroffen haben - nach dem Kindeswohl richtet. Bieten bei gemeinsamer elterlicher Sorge und Betreuung des Kindes in einem paritätischem Wechselmodell beide Elternteile gleichermaßen die Gewähr, das Kindergeld zum Wohle des Kindes zu verwenden, besteht kein Anlass für eine Änderung der Bezugsberechtigung (vgl. zur Kontinuität des Kindergeldbezuges OLG Celle, Beschluss vom 25. Mai 2018, a.a.O. [bei juris Rz. 26]).


    Für die Mutter als Bezugsberechtigte spricht die Bezugskontinuität; sie hat das Kindergeld praktisch seit der Geburt des Kindes bis zum Widerruf der Bezugsbestimmung durch den Vater Anfang Juli 2018 bezogen, wohingegen der Vater das Kindergeld zu keinem Zeitpunkt bezogen hat.


    Die weiteren von den Eltern angeführten Gesichtspunkte, namentlich dass die von ihnen jeweils erzielten Erwerbseinkünfte der Höhe nach stark unterschiedlich seien oder der Umstand, dass der Kinderhort vom Vater bezahlt wird, spielen keine Rolle. Denn das Verfahren nach § 64 EStG ist weder dafür geeignet, Feststellungen zur unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit verbindlich zu treffen, noch kommt es für die zu treffende Entscheidung auf derartige Feststellungen an. Denn der finanzielle Ausgleich zwischen den Eltern aufgrund eventueller wertmäßiger Unterschiede bei der Erbringung von Leistungen für das Kind ist allein Sache des Unterhaltsrechts (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 25. Mai 2018, a.a.O. [bei juris Rz. 19f.]; OLG Dresden, Beschluss vom 30. Dezember 2013, a.a.O. [bei juris Rz. 14]). Tatsächlich hat der Bundesgerichtshof bereits Regelungen aufgestellt, wie ein isolierter Kindergeldausgleich zwischen Eltern, die das gemeinsame Kind im Wechselmodell betreuen und keine unterhaltsrechtliche Gesamtabrechnung wünschen, zu erfolgen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2017 - XII ZB 565/15, BGHZ 213, 254 = FamRZ 2017, 437 [bei juris Rz. 47ff.]; BGH, Beschluss vom 20. April 2016 - XII ZB 45/15, FamRZ 2016, 1053 [bei juris Rz. 21f.]): Sollten die Eltern sich nicht auf einen anderen Ausgleichsmodus verständigen können, wäre auf das dort vorgesehene Modell zurückzugreifen. Auch das vom Vater angeführte Argument, dass H... melderechtlich mit Hauptwohnsitz bei ihm gemeldet ist, ist für das vorliegende Verfahren ohne Belang.


    so auch OLG Brandenburg vom

    30.10.2019

    9  WF 248/19:


    Bieten bei gemeinsamer elterlicher Sorge und Betreuung des Kindes in einem paritätischen Wechselmodell beide Elternteile gleichermaßen die Gewähr, das Kindergeld zum Wohle des Kindes zu verwenden, besteht kein Anlass für eine Änderung der bestehenden Bezugsberechtigung (sog. Kontinuität des Kindergeldbezuges). Melderechtliche Umstände, der Schulort oder auch unterhaltsrechtliche Fragen (z.B. ob beide Elternteile leistungsfähig sind) stehen der Kontinuität nicht entgegen.

    Danach hat es grundsätzlich bei dem Zustand zu verbleiben, der bis zur Aufnahme des Wechselmodells bzw. jedenfalls bis zum Entstehen des Streits über die Kindergeldbezugsberechtigung bestand. Da zuvor der Antragsgegner das Kindergeld bezogen hat, hat es auch dabei zu verbleiben.

  • VKH-Kinderfreibetrag im Wechselmodell

    Im Fall der Betreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell ist vom Einkommen eines um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Elternteils ein hälftiger Unterhaltsfreibetrag i.S.v. § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO abzusetzen.

    Die Freibeträge nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO für die minderjährigen Kinder könnten aufgrund des paritätischen Wechselmodells (nur) zur Hälfte in Anspruch genommen werden. Der Elternteil sei nämlich während des Zeitraums, in dem die Kinder beim anderen Elternteil versorgt würden, von Unterhaltsaufwendungen entlastet. Ein Großteil der Kosten, die der Freibetrag umfasse, entstehe ihm in dieser Zeit nicht. Es verblieben zwar gewisse Mehrkosten des Wechselmodells, insbesondere höhere Wohnkosten durch die Bereithaltung weiterer Kinderzimmer, die jedoch nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 und 5 ZPO gesondert geltend gemacht werden könnten. Auch mit Blick auf den sozialhilferechtlichen Charakter der Verfahrenskostenhilfe sei es daher gerechtfertigt, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Elternteil nur bezogen auf die Hälfte der Zeit für die Kosten der Lebensführung des Kindes aufkommen müsse. 

    Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand. Anders als in dem vom Senat entschiedenen Fall zahlt der um Verfahrenskostenhilfe nachsuchende Vater vorliegend neben dem von ihm im Rahmen des Wechselmodells erbrachten Naturalunterhalt keine Geldrente zur Deckung des Barbedarfs des Kindes. Mithin greift § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO , nach dem eine gezahlte Geldrente anstelle des Freibetrags (hier gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO ) vom Einkommen des Bedürftigen abzusetzen ist, soweit dies angemessen ist, schon nach seinem Wortlaut und demnach unabhängig davon nicht ein, dass ihm für das paritätische Wechselmodell eine derartige Ausschlusswirkung ohnehin nicht zukommt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 19. Januar 2022 - XII ZB 276/21 ).

    BGH, Beschluss vom 16.02.2022 - Aktenzeichen XII ZB 19/21 


    zuvor

    OLG Frankfurt, FamRZ 2020, 1746 entgegen OLG Dresden FamRZ 2016, 253,


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