Wenn ein Elternteil seine Kinder gar nicht mehr sehen darf – sog. Umgangsausschluss – hat er sich in der Regel etwas zuschulden kommen lassen. Bedauerlicherweise kann es allerdings auch durch massive Bindungsintoleranz des anderen Elternteiles und Beeinflussung des Kindes gelingen, dass Jugendamt und Gericht einen Umgangsabbruch mittragen.
In Brechts Drama “Der kaukasische Kreidekreis“ bekommt von zwei streitenden Müttern diejenige das Kind zugesprochen, die aus Mitleid mit dem Kind loslässt und nicht mehr an ihm zerrt.
Vor Familiengerichten funktioniert diese salomonische Lösung selten.
Da sitzt immer die "Hauptbezugsperson" am längeren Hebel.
Im Fall des OLG Brandenburg ging es um ein 6jähriges Mädchen, deren Eltern sich schon vor ihrer Geburt getrennt hatten. Umgangskontakte gab es unregelmäßig und immer mit Streit verbunden.
Das Verhältnis der Eltern ist hoch konfliktbehaftet und von gegenseitigen Vorwürfen und Vorhaltungen geprägt. Während die Kindesmutter dem Vater vorwirft, nichts unversucht zu lassen, um ihr und dem Kind zu schaden und Kontakt zur Schule oder Dritten aufzunehmen, um diese gegen sie zu mobilisieren, wendet der Kindesvater Probleme bei der Kindesmutter ein, die in ihrer Verweigerungshaltung verharre und ungerechtfertigte Vorwürfe erhebe bzw. unbegründete Anzeigen bei der Polizei stelle. Der Kindesvater hat wiederholt Kindeswohlgefährdungen im Haushalt der Kindesmutter gegenüber dem Jugendamt angezeigt und eine Herausnahme des Kindes aus dem mütterlichen Haushalt gefordert.
Nachdem Ende 2020 durch einen gerichtlich vermittelten Vergleich mit zaghaftem Umgang begonnen wurde, zeigte die Mutter den Vater schon nach dem ersten Termin wegen sexuellen Missbrauches an, worauf das Gericht die Umgangskontakte begleiten ließ. Eine Gutachterin konnte die Aussagen des Kindes betreffend den sexuellen Missbrauch nicht verifizieren und schloß auch nicht aus, dass die Mutter ihr Suggestivfragen gestellt hatte. Sie stellte eine grundsätzlich positive Vater-Tochter-Beziehung sowie einen Wunsch des Kindes nach Kontakt zum Vater fest.
Im ersten Gutachten wurde das Mädchen als zumeist vertrauensvoll, unbekümmert und fröhlich beschrieben, sie habe hohe Selbstzufriedenheit und hohes Selbstwirksamkeitserleben. Deshalb hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch genügend Ressourcen, um die Auswirkungen des elterlichen Spannungsfeldes auf das kindliche Verhalten abzupuffern. Die Sachverständige sah aber kommen, dass in mittelfristiger Zukunft mit einiger Wahrscheinlichkeit die Kompetenzen und Ressourcen des Kindes überschritten werden würden, wenn die Eltern in ihrem Muster bleiben würden.
Beide Elternteile würden die Signale ihrer Tochter vor dem Hintergrund ihrer eigenen Haltung (Vater: Vorwurf aktiver Beeinflussung des Kindes sowie Unfähigkeit seitens der Mutter; Mutter: rücksichtsloses Verhalten des Vaters, emotionale sowie finanzielle Bedrängnis durch den Vater) falsch interpretieren und das als auffällig wahrgenommene Verhalten des Kindes wiederum zum Anlass für weitere Konflikte nehmen. Hieraus entstünde ein erhöhtes Belastungserleben des Kindes, was wiederum durch kindliche Reaktionsweisen ausagiert und von den Eltern fehlattribuiert werde.
Die Sachverständige erachtete bereits zu diesem Zeitpunkt als fraglich, für wie lange derartige Kompensationsmechanismen ohne Konfliktreduktion der Eltern noch wirken könnten. Ohne Reduktion des Belastungserlebens befürchtete die Sachverständige infolge des Auftretens altersgemäßer und im Verlauf der Zeit immer komplexer werdender Entwicklungsaufgaben für das Kind in mittelfristiger Zukunft mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Überschreiten der Kompetenzen und Ressourcen des Kindes. Mit zunehmender psychischer Not sei dann nicht nur mit dekompensierenden Mechanismen ihrerseits zu rechnen (z. B. emotionale, soziale und/oder Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerungen), sondern mit zunehmendem Alter steige auch auf Grund des überfordernden Stresserlebens des Kindes, das sich wiederholt in kognitiver Dissonanz befinde, die nicht zu unterschätzende Wahrscheinlichkeit der Beziehungsstörung oder sogar des Beziehungsabbruchs sowohl zum Vater als auch zur Mutter.
Deshalb wurde ein Umgangspfleger und -begleiter eingesetzt. Der Umgangsbegleiter bescheinigte dem Vater, dass er mit dem Kind gut umzugehen wusste.
Aus unterschiedlichen Gründen (Erkrankung des Kindes, Corona-Quarantäne, gescheiterte Versuche des Trägers zur Terminvereinbarung) fanden von November 2021 bis Sommer 2022 gar keine (begleiteten) Umgänge mehr statt. Im August 2022 sollte es wieder losgehen. Inzwischen zeigte das Mädchen eine zunehmende Verweigerungshaltung, so dass das Jugendamt nach einigen vergeblichen Versuchen im Dezember 2022 entschied, keine Umgangsbegleitung mehr anzubieten.
Jugendamt, Verfahrensbeistand und Amtsgericht sahen die Prognose der Gutachterin eingetreten und wollten nichts erzwingen. Das Mädchen könne sich aufgrund ihres Alters nicht ausreichend gegenüber dem bindungsintoleranten Verhalten der Mutter abgrenzen und auf einen Umgang mit dem Vater einlassen. Der bestehende Loyalitätskonflikt werde bei Durchsetzung von Umgangskontakten gegen den Willen des Kindes noch verstärkt und sich massiv auf die Entwicklung des Kindes auswirken.
Jeglicher persönlicher Kontakt des Kindes mit dem Vater sei nun als dem Kindeswohl abträglich anzusehen.
Das OLG meint, der Vater zeige mit seiner wiederholt vorgebrachten Forderung nach Umsetzung begleiteter Umgänge wenig Verständnis für die Bedürfnisse seines Kindes. Der Mutter werfe er auch weiterhin eine Manipulation des Kindes sowie eine Verletzung der ihr obliegenden Wohlverhaltenspflicht bei der Förderung und Umsetzung von Umgängen vor, die auch von den im Rahmen des Helfersystems Beteiligten nicht ausreichend wahrgenommen und verhindert worden sei.
Selbst wenn, sagt das OLG: Ein für das Kindeswohl förderlicher Beziehungs- und Bindungsaufbau zum Vater ist bei diesen Gegebenheiten nicht möglich. Auch wenn eine Beeinflussung des Kindes durch die Mutter vorliegen sollte, ist ein Umgang gegen die weiter anhaltende ablehnende Haltung des Kindes mit einer erheblichen Gefahr für die weitere Entwicklung verbunden. Durch die Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit kann ein gegen den ernsthaften Widerstand des Kindes erzwungener Umgang unter Umständen mehr Schaden verursachen als Nutzen bringen. Dabei kommt es auf eine mögliche Beeinflussung durch die Mutter nicht an, denn mit den bereits sachverständigenseits getroffenen Feststellungen löst das Kind den bestehenden Loyalitätskonflikt, der sich aufgrund des hoch konflikthaften und zwischenzeitlich chronifizierten Elternverhältnisses offensichtlich kontinuierlich aufgebaut und verstärkt hat, für sich mit einer derzeitigen kompletten Ablehnung des Vaters.
Das Gericht hat auch die Anordnung gerichtlicher Maßnahmen gegen die Mutter geprüft, sprich: das Kind aus ihrem Haushalt zu nehmen, um den Loyalitätskonflikt zu beenden. Aber die mit einer Trennung von der Hauptbezugsperson sicher zu erwartende Traumatisierung stelle eine größere Gefahr für ihre weitere Entwicklung dar als der vorläufig weiter fehlende Kontakt zum Vater. Eine solche Maßnahme wäre daher ungeeignet und unverhältnismäßig und deshalb unzulässig.
Aus diesen Gründen bestätigte das OLG einen dreijährigen Umgangsausschluss.
Nach drei Jahren kann der Vater einen neuen Antrag stellen. Sollte das Kind ihn dann weiter nicht sehen wollen, wird der Umgangsausschluss vermutlich verlängert.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.10.2023 - Aktenzeichen 9 UF 115/23
Mehr als ein Mal habe ich erlebt, dass bindungsintolerante Eltern die Quittung für ihr Verhalten später bekommen, wenn den Kindern in Pubertät oder als junge Erwachsene auffällt, dasss ihre Beziehung zum anderen Elternteil grundlos beschädigt wurde. Für den Elternteil, der ausgeschlossen und aufs Abwarten verwiesen wird, ist das schwer zu ertragen.